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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Autoren: P. D. James
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zu schreiben und es obendrein so zu sprechen, daß ihr nicht gleich unten durch seid, sowie ihr den Mund aufmacht. Diejenigen von euch, die im Leben mehr erreichen wollen, als mit sechzehn unter der Haube zu sein und dann in einer Sozialwohnung einen Haufen Kinder großzuziehen, sind darauf angewiesen, sich anständig ausdrücken zu können. Und wenn ihr keinen anderen Ehrgeiz habt, als euch später von einem Mann oder vom Staat ernähren zu lassen, dann seid ihr erst recht darauf angewiesen, schon allein damit ihr euch bei der Fürsorge oder beim Gesundheits- und Sozialamt durchsetzen könnt. Aber lernen werdet ihr’s so oder so.«
    Mandy wußte nie so recht, ob sie Mrs. Chilcroft nun haßte oder bewunderte, aber in deren sendungsbewußtem, wenn auch unorthodoxen Unterricht hatte sie gelernt, ihre Muttersprache in Wort und Schrift zu beherrschen und sich darin nicht nur klar, sondern auch einigermaßen gewandt und flüssig auszudrücken. Die meiste Zeit verheimlichte sie allerdings ihr Können. Sie fand nämlich, auch wenn sie diesen ketzerischen Gedanken nie aussprach, daß es wenig Sinn habe, in Mrs. Chilcrofts Welt heimisch zu sein, wenn sie es sich dadurch mit ihrer eigenen verscherzte. Ihre Sprach- und Stilkenntnisse, die sie je nach Bedarf zum Einsatz brachte, waren ein berufliches, mitunter auch gesellschaftliches Kapital, das Mandy noch dadurch mehrte, daß sie ungeheuer flink in Steno und Maschineschreiben war und sich mit verschiedenen Textverarbeitungssystemen auskannte. Sie wußte, daß sie mit ihren Qualifikationen jederzeit eine feste Anstellung hätte finden können, aber sie blieb Mrs. Crealey treu. Abgesehen von der Oase war es auch sehr vorteilhaft, in so einer Agentur als unentbehrlich zu gelten; zum Beispiel durfte man sich garantiert immer die besten Jobs rauspicken. Hin und wieder versuchte ein Chef, ihr eine Dauerstellung schmackhaft zu machen, wobei die Herren des öfteren mit Anreizen lockten, die wenig mit jährlicher Gehaltserhöhung, Essensbons oder großzügigem Rentenzuschuß zu tun hatten. Aber Mandy blieb bei »Nonplusultra«, und ihre Treue wurzelte längst nicht nur in materiellem Kalkül. Manchmal empfand sie für ihre Chefin ein fast etwas frühreifes Mitleid. Mrs. Crealeys Probleme erwuchsen nämlich hauptsächlich aus dem Dilemma, daß sie einerseits von der Falschheit der Männer überzeugt war, andererseits aber nicht ohne sie auskommen konnte. Abgesehen von dieser unguten Dichotomie war ihr Leben beherrscht von dem Kampf darum, die wenigen vermittelbaren Mädchen bei der Stange zu halten, und von einem endlosen Zermürbungskrieg gegen ihren Ex-Mann, den Steuerprüfer, den Filialleiter ihrer Bank und ihren Vermieter. In all diesen traumatischen Kämpfen war Mandy ihr Bundesgenosse, ihre Vertraute und Trösterin. Soweit es Mrs. Crealeys Liebesleben betraf, stand sie ihr freilich eher aus Gutmütigkeit als aus Verständnis bei, denn die Vorstellung, daß es ihrer Chefin tatsächlich Spaß machte, mit den alten – manche waren sicher mindestens fünfzig – und wenig attraktiven Männern ins Bett zu gehen, die gelegentlich im Büro herumhingen, war für Mandys neunzehnjährigen Verstand einfach zu grotesk, um ernsthaft in Betracht zu kommen.
    Nachdem es eine Woche lang fast ununterbrochen geregnet hatte, versprach der Dienstag schön zu werden; schon am frühen Morgen lugten vereinzelte Sonnenstrahlen durch die tief hängenden Wolkenbänke. Es war keine lange Fahrt von Stratford East, aber Mandy hatte vorsichtshalber reichlich Zeit eingeplant, und so war es erst Viertel vor zehn, als sie von The Highway in die Garnet Street einbog und über Wapping Wall rechts ab in den Innocent Walk gelangte. Im Schrittempo holperte sie die breite, kopfsteingepflasterte Sackgasse entlang, die nach Norden hin von einer drei Meter hohen Ziegelmauer und im Süden von den drei Gebäuden des Verlagshauses Peverell Press begrenzt wurde.
    Auf den ersten Blick war Mandy enttäuscht von Innocent House, einem stattlichen, aber wenig bemerkenswerten georgianischen Bau, dessen architektonische Anmut sie mehr vom Kopf als vom Gefühl her erkannte und der sich kaum von anderen Zeugnissen der gleichen Epoche unterschied, die sie schon in vornehmen Londoner Wohnvierteln gesehen hatte. Die Vordertür war verschlossen, auch hinter der vierstöckigen Fassade mit den achtfach unterteilten Fenstern, deren zwei untere Reihen mit eleganten, schmiedeeisernen Gittern eingefaßt waren, konnten sie kein Lebenszeichen
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