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Achilles Verse

Achilles Verse

Titel: Achilles Verse
Autoren: Achim Achilles
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der Runde um den Schlachtensee werde ich explodieren. Es ist die Hoffnung, die mich am Leben hält. Ich habe schrecklichen Hunger. Aber Hoffnung ist ja das Brot des Läufers. Und da habe ich noch reichlich Vorräte.

Wir zeigen’s Dehnen
    Es gibt Dinge, die sollte man tun, weil sie vernünftig sind: Zahnseide benutzen, zum Beispiel. Aber es ist lästig, ungewohnt, zeitraubend. Ähnlich verhält es sich mit der Gymnastik für Läufer, gleichgültig ob Stretching oder Stabilisationsübungen. Beweglichkeit bedeutet mehr Stabilität und weniger Verletzungen, sagt zum Beispiel Dr. Matthias Marquardt, der Arzt, dem Läufer vertrauen. Wer tatsächlich Dehndisziplin genug aufbringt, sollte darauf achten, dass die Bewegungen langsam ausgeführt werden, technisch korrekt, ohne Wippen und nur bis zum leichten Ziehen.
Was wehtut, könnte schon eine Zerrung sein. Es bietet sich an, eine Reihenfolge von oben nach unten oder umgekehrt zu wählen. Richtige Atmung versteht sich von selbst. Neben der zwei, drei Standardübungen, die auf jeden Waldparkplatz vorgeführt werden, gibt es eine Reihe weitere, zum Beispiel bei Matthias Marquardt: Die Lauf-Bibel.

Laufen macht einsam. Es sei denn, man rennt in Gesellschaft. Aber wer will das schon? Als ehrgeiziger Sportler läuft man nicht mit-, sondern gegeneinander. Manches Duell wird heutzutage nicht mehr mit der Pistole entschieden, sondern durch Laktat und Lungenvolumen.

    Auf den geplanten Testkilometer im Maximaltempo verzichte ich vorsichtshalber. Nicht gleich an die Grenzen gehen. Das bringt nichts. Erstmal wieder reinkommen. Die frische Luft genießen. Die Geräusche. Die Ohren laufen ja mit. Wer sich mit Ohrstöpseln oder albernen Techno-Kopfhörern akustisch abschirmt, dem entgeht das Allerschönste. Nein, nicht das nervtötende Tirili des Rotkehlchens oder das stumpfe Hämmern vom Specht. Da kann man besser Schubert hören. Ein Fest für die Ohren sind die Schritte, die sich von hinten nähern oder das Stampfen da vorn hinter der Kurve. Wir Läufer sind Jäger und Gejagte. Bin ich schneller, werde ich gehasst und verachte ihn. Ist er schneller, verachtet er mich, und ich hasse ihn. Am Schlachtensee gibt es keine Sportsfreunde.
    Man muss den Feind schon an seinen Schritten erkennen, denn man sieht ihn ja nicht. Egal, ob ich überhole oder überholt werde, immer erblickt man ihn nur von hinten: den ausladenden Hintern, die schlaffen Waden, die hässlichen Klamotten, alte
Schweißränder. Die goldene Regel des Laufsports heißt: Dreh dich nicht um! Wer sich umdreht, der hat Angst, der ist unsicher, der hat schon verloren.
    Also horchen. Mit den Fußsohlen erspüren, dieses leichte Vibrieren, das der leichtfüßige Hintermann auf den Waldboden tupft. Er muss ja leichtfüßig sein, leichtfüßiger als ich jedenfalls, sonst würde er mich nicht überholen.
    Ein Rennen um Leben und Tod beginnt. Ich will mich nicht überholen lassen. Nicht mit mir, nicht mit Achim Achilles. Lieber tot als Zweiter. Aber er hat den psychologischen Vorteil des Verfolgers, des Jägers. Zart beschleunigen, dann wieder hören. Kommt er näher? Riecht er deinen Angstschweiß? Wird er schneller? Oder verschwindet das Beben? Nein. Es kommt näher. Verdammt. Er erlegt dich. Schneller werden. Mist, hilft nicht. Das Schnaufen wird lauter. Peinlich, was der Idiot alles anstellt, nur um einen wie mich zu überholen. Wie mag er aussehen? Übergewicht? Wie alt? Bestimmt hat er eine Glatze.
    Er überholt. Eigentlich sieht er ganz normal aus. Nicht übermäßig sportlich. Etwas jünger vielleicht, T-Shirt von einem Volkslauf in Leipzig. Ossi, wa? Die machen ja aus jedem Läufchen eine Systemfrage. Aber ich will keinen kalten Läuferkrieg. Ich bin zum Entspannen hier. Zum Glück keine Spaziergänger da, die mitleidig gucken. Auf jeden Fall habe ich es ihm schwer gemacht, sehr schwer. Noch 100 Meter und er hätte aufgegeben. Der Arme. Er hat erbärmlich geschnauft. Manche Läufer atmen hochgradig unästhetisch, der speichelnde Hechler zum Beispiel oder ein pfeifender Pressatmer, was ernste Verkrampfungen verrät. Es gibt auch die Schnauber, die wie ein Pferd klingen. Oder Spucker, die alle paar Meter widerliches Zeug ausrotzen.
    Wirklich individuell sind nur die Schritte. Jeder Läufer hat seinen eigenen Klang. Es gibt leichte und schwere Schritte, elegante und stampfende, schlurfende, hüpfende, lange, kurze, schlabberige, eiserne. Kein Schritt ist wie der andere. Meine Schritte zum Beispiel
klingen bestimmt, nicht
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