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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt
Autoren: Dennis Lehane
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schürzte die Lippen, blickte auf ihre schlanken Hände hinab und wollte gerade wieder aufsehen, als sich die Wohnungstür öffnete und Eric hereinkam. Er hatte das graumelierte Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, oben lichtete es sich schon merklich. Aber obwohl ich wusste, dass er 46 oder 47 war, wirkte er immer noch um zehn Jahre jünger. Er trug eine khakifarbene Hose zu einem Jeanshemd und einem anthrazitfarbenen Sportsakko, dessen unterer Knopf geschlossen war. Das Sportsakko saß etwas komisch, so als hätte der Schneider nicht bedacht, dass Eric darunter eine Pistole trug.
„Hey, Eric!“ Ich hielt ihm die Hand hin.
Er ergriff sie. „Schön, dass du kommen konntest, Patrick!“ „Hi, Eric!“ Angie streckte ihm ebenfalls die Hand entgegen. Als er sich vorbeugte, um sie zu schütteln, merkte er, dass die Waffe zu sehen war. Er schloss kurz die Augen und errötete. Angie sagte: „Es wäre mir lieber, wenn du die Pistole auf den Couchtisch legst, bis wir wieder weg sind, Eric.“
„Das ist mir äußerst peinlich“, entschuldigte er sich und versuchte ein schwaches Lächeln.
„Bitte, Eric“, mahnte Diandra, „leg sie auf den Tisch.“
Er öffnete das Holster, als wären Stacheln daran, und legte eine Luger .38 auf den Umschlag.
Ich sah ihn verwundert an. Eric Gault und eine Pistole passen ungefähr so gut zusammen wie Kaviar und Hot dogs.
Er nahm neben Diandra Platz. „Wir sind etwas nervös in letzter Zeit.“
„Warum?“
Diandra seufzte. „Ich bin Psychologin, Mr. Kenzie, Ms. Gennaro. Ich unterrichte zweimal pro Woche in Bryce und halte Sprechstunden für die Lehrenden und die Studierenden ab, außerdem führe ich noch eine Praxis außerhalb des Campus. Bei meiner Arbeit ist man so einiges gewöhnt: gefährliche Patienten, die allein mit mir in dem kleinen Büro einen psychotischen Schub bekommen, paranoide dissoziative Schizophrene, denen es gelingt, meine Adresse herauszufinden. Mit diesen Ängsten muss ich leben. Ich schätze, man erwartet, dass sie eines Tages Wirklichkeit werden. Aber das hier…“ Sie blickte auf den Umschlag auf dem Tisch zwischen uns. „Das hier ist…“
Ich half ihr: „Versuchen Sie uns zu beschreiben, wie alles angefangen hat!“
Sie lehnte sich zurück und schloss einen Moment die Augen. Eric legte ihr sanft die Hand auf die Schulter, doch sie schüttelte den Kopf, so dass er sie rasch wieder wegzog und auf seinen Oberschenkel legte. Dabei sah er seine Hand an, als wisse er nicht, wie sie dort hingelangt sei.
„Eines Morgens kam eine Studentin in meine Sprechstunde in Bryce. Jedenfalls behauptete sie, Studentin zu sein.“
„Bestand Anlass, ihr nicht zu glauben?“ fragte Angie.
„Damals nicht. Das Mädchen hatte einen Studentenausweis.“ Diandra öffnete die Augen. „Aber als ich dann etwas nachforschte, stellte sich heraus, dass sie nicht registriert war.“
„Wie hieß diese Person?“ wollte ich wissen.
„Moira Kenzie.“
Ich warf Angie einen Blick zu, und sie hob die Augenbrauen. „Sehen Sie, Mr. Kenzie, als Eric Ihren Namen erwähnte, da wurde ich sofort aufmerksam. Ich dachte, Sie könnten mit ihr verwandt sein.“
Ich dachte darüber nach. Kenzie ist kein besonders gängiger Familienname. Selbst in Irland gibt es nur einige von uns in der Gegend von Dublin, und oben in Ulster sind ein paar verstreut. Aber angesichts der Grausamkeit und Gewalttätigkeit, die in den Seelen meines Vaters und seiner Brüder faulte, war es nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen, dass diese Blutslinie auszusterben drohte. „Sie sagen, diese Moira Kenzie war ein Mädchen?“
„Ja.“
„Also war sie noch nicht, so alt?“
„Neunzehn, vielleicht zwanzig.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, dann kenne ich sie nicht, Dr. Warren. Die einzige Moira Kenzie, die ich kenne, ist eine Cousine meines verstorbenen Vaters. Sie ist Mitte Sechzig und seit zwanzig Jahren nicht aus Vancouver herausgekommen. „
Diandra nickte kurz und bitter, ihre Pupillen schienen sich zu trüben. „Tja, dann…“
„Dr. Warren“, versuchte ich es erneut, „was war denn, als diese Moira Kenzie zu Ihnen kam?“
Diandra schürzte die Lippen und sah Eric an, dann blickte sie zu dem schweren Deckenventilator über ihr. Langsam atmete sie durch den Mund aus – da wusste ich,
dass sie sich entschlossen hatte, uns Vertrauen zu schenken. „Diese Moira sagte, sie sei die Freundin eines Mannes namens Hurlihy.“
„Kevin Hurlihy?“ fragte Angie.
Diandra Warrens goldene Haut wurde noch einen Ton
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