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Abschlussfahrt

Abschlussfahrt

Titel: Abschlussfahrt
Autoren: Jochen Till
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Marlon. »Gespritzt! Das ist doch keine Cocktailbar hier. Äppler ist hessisches Kulturgut, das wird nicht gepanscht. Ihr kippt doch auch keine Cola in eure Sangria, oder?«
    »Madre de Dios! Auf gar keinen Fall!«
    »Na also. Dann halt die Klappe und trink.«
    Marlon steht auf und kippt uns vorsichtig aus dem Kanister die Becher voll. Bei Seba angelangt, bremst der Zug plötzlich kurz ab. Marlon gerät ins Straucheln und schüttet mehr Äppler über Sebas Hand, als in den Becher. Die erste Pfütze auf dem Boden. Mit Sicherheit nicht die letzte. Teufelsschoppengeruch breitet sich im Abteil aus.
    »Hey, ich wollte das Zeug eigentlich saufen, nicht darin baden!«, beschwert sich Seba und wischt sich die Hand am Polster seines Sitzes ab.
    »Jetzt stell dich nicht so an«, entgegnet Marlon. »Äppler ist gut für die Haut. Guck dir meinen Opa an.«
    »Dein Opa sieht verdammt alt und verrunzelt aus, Marlon«, bemerke ich.
    »Aber nur wenn er nüchtern ist«, erklärt Marlon augenzwinkernd. »Hier, halt mal.«
    Er drückt mir einen zweiten Becher in die Hand, füllt ihn und stellt den Kanister auf den Boden. Dann nimmt er mir den Becher ab und hebt ihn in die Höhe.
    »Männer!«, ruft er. »Auf uns und die schweren Aufgaben, die vor uns liegen! Das Ziel heißt Toskana. Unser Auftrag: so viel Alkohol vernichten wie möglich! Unser Motto: immer voll und allzeit breit!«
    Wir stoßen johlend mit ihm an, Marlon kippt seinen Teufelsschoppen auf ex ab, wir geben uns alle Mühe mitzuziehen, aber so schnell wie er ist keiner.
    »Schmeckt echt gut«, stellt Diego schmatzend fest.
    »Bisschen warm«, bemerkt Seba.
    »Sorry«, sagt Marlon. »Das Teil hat in keine Kühltasche gepasst. Da hilft wohl nur eins: schnell trinken.«
    Und genau das tun wir dann auch. Es dauert keine halbe Stunde, bis alle Becher viermal geleert und wir dementsprechend angetrunken sind. Bei Diego hat es am meisten reingehauen, kein Wunder, er ist das Zeug ja nicht gewöhnt. Marlon kippt sich den letzten Rest Teufelsschoppen direkt aus dem Kanister in den Rachen. Er stöhnt wohlig auf und betrachtet den Kanister in seiner Hand. Das klobige Ding hat seine Schuldigkeit getan. Wohin damit? Ein Grinsen breitet sich auf Marlons Gesicht aus. Ein Marlon-hat-eine-fiese-Idee-Grinsen.
    »Probier mal, ob das Fenster aufgeht«, sagt er zu Diego.
    Diego erhebt sich etwas schwerfällig. Das Fenster lässt sich problemlos herunterschieben. Marlon hält den Kanister an den geöffneten Spalt, er passt nicht durch.
    »Ich glaube, es wird Zeit für etwas Musik«, nickt er Diego zu, der daraufhin seinen Gettoblaster anwirft.
    »Laute Musik«, sagt Marlon, und Diego dreht den Regler nach rechts.
    Eine knackige Bassline wummert durch unser Abteil. Marlon legt den Kanister auf den Boden und tritt mit voller Wucht drauf. Der dicke Kunststoff verformt sich nur widerwillig, Marlon tritt immer wieder zu und springt schlussendlich darauf herum, bis der Kanister dem Druck nachgibt. Er hebt das flach getrampelte Teil auf und hält es an den Fensterspalt.
    »Achtung, gleich!«, ruft er uns zu. »Macht die Musik aus!«
    Er streckt seinen Arm mit dem Kanister in der Hand nach draußen. Dann wird es plötzlich dunkel. Ein Tunnel. Darauf hat er also gewartet. Er holt, so gut es geht, Schwung und lässt den Kanister los. Wir hören vier laute Schläge. Der Kanister ist wie geplant ein paarmal zwischen Tunneldecke und Zug hin und her gesprungen. Marlon zieht sich dreckig lachend ins Abteil zurück.
    »Geil!« Lars klopft ihm auf die Schulter. »Lass mich auch mal! Gebt mir die Becher!«
    Wir drücken ihm unsere Becher in die Hand, er stapelt sie ineinander und wirft sie raus. Kein Ton. Nicht das leiseste Scheppern. Eine typische Lars-Nachmacher-Aktion.
    »Mist, die waren zu leicht«, flucht er.
    Marlon schließt das Fenster. »Falls Wuttke die Schläge von dem Kanister gehört hat, ist er gleich hier.«
    Seba hebt den Vorhang an und späht auf den Gang.
    »Oh, Mann, hier stinkt’s vielleicht nach Äppler«, stellt Diego fest.
    »Kein Problem«, sagt Marlon und zieht sein Kippenpäckchen hervor. »Gleich stinkt’s nach Rauch. Gibt weniger Ärger. Wer will noch? Jonas?«
    Er hält mir das offene Päckchen entgegen. Verdammt. Eigentlich habe ich aufgehört. Vor drei Tagen. Mist. Hätte ich mir eigentlich denken können. Abschlussfahrt und nicht rauchen, das passt einfach nicht zusammen. Fuck, was mache ich denn jetzt?
    »Okay«, sage ich und fingere mir eine Zigarette aus Marlons Päckchen.
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