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Abschlussfahrt

Abschlussfahrt

Titel: Abschlussfahrt
Autoren: Jochen Till
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wohl auch was dran sein. Der Laden war brechend voll, vier Schulklassen. Der Museumsführer erklärte gerade irgendwelche Folterwerkzeuge, alle waren ruhig, und plötzlich hörte man dieses seltsame Wimmern aus dem Nebenraum. Zuerst dachten alle, das gehöre zur Show, aber als der Führer dann die Stirn runzelte und vorsichtigen Schrittes nach nebenan ging, fand er dort Kauffmann und Kim sich im Schatten einer Guillotine vergnügend. Der Typ wäre fast in Ohnmacht gefallen, hat Marlon erzählt, was ich nur allzu gut nachvollziehen kann, denn Kauffmann und Kim beim Vögeln zuzugucken, wäre wahrscheinlich selbst für den kaltblütigsten Folterknecht zu viel gewesen. Die beiden sind nämlich hässlicher als zwei Pavianärsche bei Vollmond. Und die Schulleitung kam zu dem Entschluss, dass man die beiden besser trennen sollte. Also steckte man Kauffmann in die 10b. Ein Präzedenzfall. Vorbeugende Versetzung wegen öffentlichen Koitierens im Rahmen eines pädagogischen Ausflugs. So steht es in Kauffmanns Akte. Wie gesagt, legendär.
    Wir lachen alle laut und ausgiebig, bis Seba seinen Zeigefinger auf die Lippen legt und uns zuzischt: »Achtung, Wuttke im Anmarsch!«
    Simultanes Verstummen. Marlon checkt kurz, ob die Kühltasche auch wirklich verdeckt ist. Diego zieht seine Kopfhörer aus der Hosentasche und steckt sie sich in die Ohren. Seba schnappt sich die Bahnzeitschrift aus der Ablage über ihm und blättert darin. Lars und ich lehnen uns zurück und schließen die Augen. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich Wuttkes Stimme höre.
    »Na, da sind ja mal wieder genau die Richtigen beisammen«, brummt er. »Am besten, ich trenne euch gleich.«
    Ich öffne meine Augen.
    »Was denn?«, protestiert Marlon. »Wir machen doch gar nichts!«
    »Ja, noch nicht«, erwidert Wuttke.
    »Wir sind ganz brav«, beteuert Lars. »Ehrlich.«
    »Ja, ja, ganz brav«, sagt Wuttke. »Und warum riecht es hier so nach Rauch? Marlon?«
    Marlon streckt seine Nase in die Luft und schnuppert demonstrativ.
    »Keine Ahnung.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich riech nichts. Ihr?«
    Allgemeines Kopfschütteln. Seba blickt von der Zeitschrift auf.
    »Das ist ja mal interessant, Herr Wuttke«, sagt er. »Wussten Sie eigentlich, dass die Bahn mit zweihundertzwanzigtausend Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber in ganz Deutschland ist?«
    »Wie … Was?«
    Wuttke verliert den Faden.
    Sehr gute Taktik. Der Feind muss verwirrt werden.
    »Die Bahn«, sagt Seba und fuchtelt mit den Händen in der Luft. »Dieses Teil hier. Zweihundertzwanzigtausend Mitarbeiter. Natürlich nicht alle in diesem Zug. Das würde wohl ein bisschen eng werden. Haha!«
    Wir lachen alle gespielt auf. Wuttke starrt verwirrt von einem zum anderen.
    »Ich geh dann mal weiter«, sagt er schließlich.
    »Tun Sie das, Herr Wuttke«, sagt Marlon. »Tun Sie das.«
    Wuttke verschwindet aus unserem Blickfeld.
    Marlon lehnt sich entspannt in seinen Sitz. »Saubere Arbeit, Leute. Der kommt frühestens in einer Stunde wieder vorbei. Seba, Tür.«
    Seba schiebt die Tür zu.
    »Die Vorhänge auch«, sagt Marlon und öffnet den Reißverschluss seiner Sporttasche.
    Nachdem er ein paar T-Shirts beiseitegeschoben hat, zieht er einen kleinen, roten Kanister hervor, fünf Liter schätzungsweise. Und ich weiß genau, was da drin ist: der Schoppen des Teufels.
    »Ich dachte, wir fangen mal soft an«, grinst Marlon und kramt tiefer in der Tasche.
    Ja, genau. Soft. Von wegen soft. Der Schoppen des Teufels heißt nicht umsonst so. Der Teufel ist in diesem Fall Marlons Opa und sein Schoppen selbst gekelterter Apfelwein. Das Zeug zieht einem echt die Schuhe aus. Nicht geschmackstechnisch, im Gegenteil, dieses Stöffchen ist verdammt lecker. Aber es hat mindestens doppelt so viele Umdrehungen wie normaler Apfelwein.
    Marlon zieht einen kleinen Stapel Plastikbecher aus seiner Tasche. Die Becher sind durchsichtig und haben tatsächlich die Form von echten Apfelweingläsern.
    »Die sind ja geil«, sagt Lars und schnappt sich einen. »Wo hast du die denn her? Hab ich noch nie gesehen.«
    »Äppler muss immer stilecht getrunken werden«, grinst Marlon und drückt jedem von uns einen Becher in die Hand. »Hat meine Oma irgendwo besorgt, keine Ahnung woher.«
    »Hast du auch Wasser dabei?«, will Diego wissen.
    »Wasser?« Marlon verzieht angewidert das Gesicht. »Nicht dieses Wort in meiner Gegenwart, bitte!«
    »Oder Limo?«, hakt Diego nach. »Ich mag Äppler nur gespritzt.«
    »Ach, papperlapapp!«, erwidert
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