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Abschlussfahrt

Abschlussfahrt

Titel: Abschlussfahrt
Autoren: Jochen Till
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»Danke.«
    Dann höre ich eben nach der Fahrt auf. Die paar Tage machen wohl auch keinen großen Unterschied.
    Ich greife gewohnheitsgemäß in meine Hosentasche und ziehe mein Zippo hervor. Moment mal. Wieso habe ich das eigentlich immer noch einstecken, obwohl ich vor drei Tagen aufgehört habe? Da war mir mein Unterbewusstsein wohl eindeutig einen großen Schritt voraus. Wahrscheinlich kennt es mich einfach zu gut und wusste genau, dass ich diese Fahrt nicht rauchfrei überstehen würde. Gutes Unterbewusstsein.
    Ich gebe Marlon und Lars Feuer und wir paffen erst mal ein paar dicke Wolken in die Luft, um den Äpplergeruch zu übertünchen.
    Gerade als Marlon seine Zigarette ausdrückt, meldet sich Seba zu Wort.
    »Wuttke im Anmarsch!«, zischt er uns zu und versteckt sich sofort wieder hinter der Bahnzeitschrift.
    Lars und ich drücken unsere Kippen auch schnell aus und lehnen uns möglichst unschuldig aussehend in die Sitze zurück. Die Tür wird aufgeschoben. Wuttke betritt das Abteil, sein Blick ist skeptisch und grimmig.
    »Wart ihr das eben?«, fragt er scharf.
    »Also, Herr Wuttke!«, erwidert Marlon entrüstet. »Sie könnten ruhig vorher anklopfen! Von wegen Intimsphäre und so.«
    »Für euch gibt es keine Intimsphäre auf dieser Fahrt«, brummt Wuttke. »Vor allem für dich nicht, Marlon. Also, was war das eben? Das wart ihr doch!«
    Wir schauen uns alle fragend an und zucken mit den Schultern.
    »Was meinen Sie, Herr Wuttke?«, fragt Lars. »Ist was passiert? Wir haben nichts mitgekriegt.«
    »Ach kommt, jetzt tut doch nicht so!«, sagt Wuttke. »Ihr habt doch eben im Tunnel irgendwas aus dem Fenster geworfen. Ich hab’s genau gesehen. Es ist bei uns im Wagen an ein Fenster geknallt. Eine ältere Dame hat sich fast zu Tode erschreckt.«
    »Seht ihr!«, sagt Diego und schaut vorwurfsvoll in die Runde. »Ich hab’s euch doch gesagt: Man kann die Fenster aufmachen!«
    Er wendet sich an Wuttke.
    »Wissen Sie, Herr Wuttke, ich hab die ganze Zeit gesagt, Marlon soll mal das Fenster aufmachen, wegen dem Qualm, aber Marlon hat steif und fest behauptet, dass man die Fenster in Zügen nicht mehr aufmachen kann, sicherheitstechnisch und so weiter. Aber wenn da irgendjemand irgendwas aus einem Fenster geschmissen hat, dann müssen sie ja wohl aufgehen. Nicht wahr, Marlon?«
    »Gehen sie aber nicht!«, erwidert Marlon, steht auf und zieht am Griff des Fensters, das sich natürlich öffnet. »Oh!«
    »Ja, genau: Oh!«, äfft Diego Marlon nach. »Selten so schön klug danebengeschissen, der Herr.«
    »Als ich zum letzten Mal Zug gefahren bin, sind die Fenster nicht aufgegangen!«, wehrt sich Marlon.
    »Wahrscheinlich warst du nur zu blöd dazu«, sagt Diego.
    »Ich geb dir gleich zu blöd!«, hält Marlon dagegen und boxt Diego auf den Arm.
    Diego boxt zurück, das geht ein paarmal hin und her, bis Wuttke schließlich einschreitet.
    »Das reicht. Auseinander!«, fährt er dazwischen, und die beiden hören damit auf.
    Wuttke atmet tief durch. »Ihr habt also wirklich nichts aus dem Fenster geworfen?«
    »Also, Herr Wuttke!« Ich richte mich in meinem Sitz auf. »Ihr Spürsinn und Ihre ständigen Pauschalverdächtigungen uns gegenüber in allen Ehren. Aber nicht alles, was in unserer unmittelbaren Umgebung an Missetaten passiert, geht tatsächlich auf unser Konto. Das ist ja schon zwanghaft bei Ihnen. Wissen Sie, wie viele Leute hier im Zug sind, die genauso gut etwas aus dem Fenster geworfen haben können? Und außerdem: Halten Sie uns wirklich für so bescheuert, dass wir uns gleich am Anfang derartig danebenbenehmen und Ihnen somit einen Vorwand liefern, uns gleich wieder nach Hause zu schicken?«
    »Ja … nein …«, windet sich Wuttke. »So war das doch auch gar nicht gemeint … Ich wollte doch nur … Ach, vergesst es einfach. Ich glaube, ich brauche unbedingt noch einen Kaffee …«
    Wuttke trottet ohne ein weiteres Wort aus dem Abteil.
    »Mann!«, gluckst Seba. »Du kannst einen aber auch echt schwindlig labern!«
    »Eine meiner leichtesten Übungen«, sage ich und lasse mich in meinen Sitz sinken.
    »Weltklasse!«, kichert Lars.
    »Der kommt so schnell nicht wieder«, lacht Marlon und schiebt seine Jacke von der Kühltasche. »Das heißt, wir können uns in aller Ruhe größeren Aufgaben widmen.«
    Oha. Jetzt geht’s los. Marlon öffnet stolz die Kühltasche.
    »Was wollt ihr zuerst vernichten?«, fragt er und hält zwei Flaschen hoch. »Wodka oder Havana?«
    »Havana«, sagt Lars und schaut uns um
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