Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Autoren: Ralf Boscher
Vom Netzwerk:
lassen!«, zischte Opa beinahe verächtlich zwischen seinen faltigen Lippen hindurch.
    Und Opa hatte ja so recht! Was hatten mir schon diese kleinen taktischen Überlegungen gegenüber der allumfassenden Idee einer Logik des Tötens gegolten. Mein ganzes Tun war mir furchtbar kontingent erschienen, von so vielen Faktoren abhängig, die ich nicht im Griff hatte. Wer hätte gedacht, dass gerade dies der Clou des Ganzen sein sollte? Dass es gerade meine Handschrift sein sollte, keine Handschrift zu haben?
    Während Opa, nun wieder lächelnd, mich beobachtete, spürte ich, wie mir eine Wahnsinnslast vom Herzen abfiel. Alles, was mir in meinem Leben bislang so unzureichend bruchstückhaft erschienen war, eine einzige jämmerliche Aneinanderreihung von willkürlichen Akten und zufälligen Ereignissen, fügte sich nun von ganz alleine zu einer Ordnung. Zu meiner Ordnung. In diesem Moment wurde aus meiner Auferstehung von den Toten eine Wiedergeburt. Es war ja so einfach: Alles in meinem Leben hat seinen Sinn dadurch, dass ich es bin, dem es widerfährt! Alles, was mir bislang an meinem Handeln als pure Willkür erschienen war, wird gerade sinnvoll dadurch, dass ich es bin, der handelt. Ich würde von nun alles im Griff haben, weil ich endlich aufhören würde, alles im Griff haben zu wollen. Brauche nur meiner Natur freien Lauf lassen! Ja, dachte ich euphorisch, ich werde von nun an tun und lassen, wozu ich Lust habe, und es mir damit gut gehen lassen! Niemals mehr eingesperrt sein im Gipsbett des schlechten Gewissen!
     
    4.
     
    Doch als ich in diesem für mich so bedeutenden Moment vor lauter Aufregung im Zimmer herumhüpfte und ausrief: »Ja, Opa, so wie damals, nach Lust und Laune Schnecken töten!«, sank mein Opa aufstöhnend in seinem Rollstuhl zusammen. Als ich helfend hinzusprang und seinen herabgesunkenen Kopf sachte ein wenig anhob, damit er besser atmen könne, sah ich mit zunehmender Sorge, dass sich seine Augen verdrehten, bis nur noch das Weiße seiner Augäpfel zu sehen war. Zudem lief ihm Speichel in dünnen Fäden aus den Mundwinkeln und seine Finger schlossen und öffneten sich unkontrolliert um die Armlehnen. »Opa, was’n los?!«, ich rüttelte an seinem Rollstuhl, ohne damit etwas an seinem Zustand ändern zu können, brach in Tränen aus und dachte in meiner Hilflosigkeit sogar daran, den Notarzt zu rufen. Doch dann fiel mir ein, dass der nicht würde helfen können, da Opa ja schon längst tot war.
    Plötzlich packten mich Opas Hände mit festem Griff an der Schulter. Der Schreck, der mich bei dieser jähen Berührung durchzuckte, währte glücklicherweise nur kurz, denn nun schlug mich jenes Schauspiel in seinen Bann, das sich mir in seinen Augenhöhlen darbot. Denn mit einem Mal hatte das Weiße seiner Augen begonnen in allen Regenbogenfarben zu leuchten und sich gleichzeitig auf eine Weise zu bewegen, dass der Eindruck entstand, als würden sich Opas Augen zur Mitte hin absenkten, dorthin, wo normalerweise die Pupillen sein sollten. Eine Kreisbewegung, die zu einem Kreisel wurde. Opas Augen wurden zu einem regenbogenfarbenen Trichter, auf dessen Grunde Farben und Bewegung zu einem stillstehenden, schwarzen Punkt verschmolzen, der trotz aller Schwärze irgendwie dennoch heller erstrahlte als alle bunten Farben, die er in sich aufsog. Kaum bemerkte ich, dass eine von Opas Händen meine Schultern losgelassen hatte und mir stattdessen übers Haar strich, so sehr nahm mich der Anblick dieser alles überstrahlenden Schwärze gefangen, die nun aus dem Zentrum des Trichters entgegen der Kreisbewegung der Regenbogenfarben empor wanderte. Eine schwarze Sonne, die sich meinem staunenden Blick näherte, den ich aber schon bald senken musste in einer Mischung aus der Unmöglichkeit, diesem dunklen Licht weiter entgegenzusehen, und einem Gefühl der Ehrfurcht, das mich zittern ließ. Plötzlich und intuitiv wusste ich, wessen Ankunft ich entgegenblickte. Schon kam ein weiteres, ein letztes Stöhnen aus dem Munde meines Opas, und dann ertönte auch schon die Stimme meines Vaters, ein unendlich tiefes Grollen mit unzähligen hell wispernden Stimmen in den Obertönen, massiv wie ein Berg, dahinfließend wie ein Fluss aus Feuer, erschreckend durchdringend, Ehrfurcht gebietend, aber auch über alle Maße wohlklingend und Vertrauen einflößend, und sie sprach: »So hast du also gewählt!« Dann Stille.
    Ich wagte erst wieder aufzublicken, als ich spürte, wie sich nach einer letzten zärtlichen Berührung die Hand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher