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Abschied braucht Zeit

Abschied braucht Zeit

Titel: Abschied braucht Zeit
Autoren: H Christof Mueller-Busch
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hinterlässt, andererseits wirft die Beihilfe zur Selbsttötung aber auch die ethische Frage auf, ob und warum es tatsächlich eine ärztliche Aufgabe – oder wie es einige sehen, sogar eine Verpflichtung – sein sollte, hier mitzuwirken. Diese Debatte wird häufig mit dem Argument des »Rechts des Menschen auf einen menschenwürdigen Tod« 53 geführt. Während das »Recht auf den eigenen Tod«, wie es z.B. Ende des 19. Jahrhunderts von Jost formuliert wurde, einen gesellschaftlich anerkannten, eventuell sogar gesetzlich garantierten eigenen Tod impliziert, 54 den es eigentlich in keiner Kultur gibt (auch nicht in den Niederlanden), kommt in der Position der »Freiheit zum Tode« 55 eine Möglichkeit zum Ausdruck, die Beendigung des eigenen Lebens selbst in die Hand zu nehmen. Die Vorbereitung und Durchführung eines Suizids ist sicherlich häufig mit ganz persönlichen und praktischen Schwierigkeiten verbunden. So stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen hier Hilfe geleistet werden darf und von wem? Ist die Ermöglichung eines Suizids durch Bereitstellung oder durch Verschreibung einer tödlichen Medikamentenkombination eine humane Tat oder ist sie als verwerfliche Missachtung ethischer Prinzipien zu bewerten? Warum akzeptieren Ärzte Menschen, die eine Dialysebehandlung nicht mehr fortführen wollen oder auf Nahrung und Flüssigkeit verzichten, um dadurch den Tod zu finden, leichter als Menschen, die sie um Beihilfe zum Suizid bitten? Die Debatte zu diesem Thema hat in den letzten Jahren zugenommen und wird von ganz unterschiedlichen weltanschaulichen und religiösen Positionen geprägt.
    Frau H., eine 78-jährige Patientin, ist auf der Palliativstation gestorben, nachdem sie eine weitere Durchführungder bei ihr vor zwei Jahren begonnenen Dialysebehandlung abgelehnt hatte. Sie war aus einem anderen Krankenhaus zu uns verlegt worden, weil sie eine Umgebung suchte, in der diese Entscheidung respektiert würde und sie selbstbestimmt den Tod auf sich zukommen lassen könnte. Die drei Kinder der Patientin wollten die Entscheidung zunächst nicht akzeptieren; sie versuchten immer wieder, ihre Mutter zu überreden, doch nochmals einen Versuch zu unternehmen, die Dialyse weiterzuführen, obwohl die Komplikationen der Dialysebehandlung in den letzten sechs Monaten für Frau H. zu einer großen Qual geworden waren, so dass sie nunmehr ihr Leben als abgeschlossen ansah und sich wünschte, von ihren Kindern und ihren vielen Enkelkindern bewusst Abschied nehmen zu können – auch wenn das für sie sehr schmerzlich war. Als ich die Patientin zum ersten Mal sah, konnte ich ihren Therapieabbruch nur schwer verstehen, so vital erschien sie mir noch. Dann schilderte sie mir die Torturen, die sie in den letzten Wochen mitgemacht hatte, und auch, wie schwer ihr der einsame Entschluss gefallen sei, den sie mit einem Pastor lange besprochen hatte. Sie hatte Angst, dass sie doch wieder anders entscheiden könnte und dann alles wie bisher weiterginge. Auch mir fiel es nicht leicht, diese Entscheidung zu akzeptieren, doch die vorbehandelnden Spezialisten bestätigten die äußerst geringen Aussichten, ihre Situation durch eine nochmalige komplizierte Shuntrevision wesentlich zu verbessern. Wir vereinbarten, über die Dialyse, die sie jederzeit wieder beginnen könne, nur zu reden, wenn sie es wünschte. Frau H. blieb standhaft und konnte sich in den wenigen ihr verbleibenden Tagen von allen Familienangehörigen, die sie teilweise lange nicht mehr gesehen hatte, verabschieden. Sie sprach mit ihnen und uns über den Schmerz des Abschieds und überdas Glück, sterben zu dürfen. Sie konnte sogar alte Berliner Lieder singen und Witze machen. Die Dialyse blieb tabu, und mehrfach bestätigte sie, dass dies auch so bleiben sollte. Die Begleitung der Sterbenden war schmerzlich, aber auch eine eindrucksvolle Erfahrung – besonders für die Angehörigen, die den Gedanken, dass die Grenzen der Medizin auch das selbstbestimmte Sterben erlauben müssen, erst im Verlauf dieses Abschieds annehmen konnten.
    Einen solchen Sterbewunsch zu respektieren und dieses Sterben zu begleiten kann emotional sehr belastend sein. Leidenslinderung bei Menschen, die eine Begrenzung lebenserhaltender Maßnahmen – aus welchen Gründen auch immer – einfordern, gehört sehr wohl zu den Aufgaben von Palliative Care; die Bereitstellung und Gabe von tödlich wirkenden Medikamenten, um dadurch den Tod herbeizuführen, stellt dagegen aus
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