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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition)
Autoren: Peter Watts
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mich selbst darum kümmern, wirklich! Trotzdem vielen Dank.« Sie schiebt Ballards Hand weg.
    Ballard blickt sie einen Moment lang an, und ein leises Lächeln tritt auf ihre Lippen.
    »Lenie«, sagt sie, »das muss Ihnen nicht peinlich sein.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Sie wissen schon. Dass ich Sie retten musste. Dass Sie in Panik verfallen sind, als das Ding Sie angegriffen hat. Das ist vollkommen verständlich. Die meisten haben Probleme mit der Anpassung. Ich habe einfach Glück gehabt.«
    Klar. Sie haben schon immer Glück gehabt im Leben, nicht wahr? Solche Leute wie Sie kenne ich, Ballard. Sie haben noch nie bei irgendetwas versagt.
    »Sie müssen sich deswegen nicht schämen«, versichert Ballard ihr.
    »Das tue ich auch nicht«, erwidert Clarke aufrichtig. Sie spürt eigentlich gar nichts. Nur das taube Prickeln. Und die Anspannung. Und eine leichte Verwunderung darüber, dass sie noch am Leben ist.

    Das Schott schwitzt.
    Draußen hält die Tiefsee das Metall in ihrer eisigen Umklammerung gefangen, und drinnen beobachtet Clarke, wie sich die Luftfeuchtigkeit an der Wand sammelt und in Tropfen daran herabläuft. Sie sitzt im trüben floureszierenden Licht aufrecht auf ihrer Koje, während die Wände ihrer Kabine kaum eine Armlänge entfernt zu sein scheinen. Die Decke ist zu niedrig. Der Raum viel zu eng. Sie spürt, wie der Ozean die Station um sie herum zusammendrückt.
    Und ich kann nur abwarten …
    Die anabolische Salbe auf ihren Verletzungen fühlt sich warm und beruhigend an. Clarke tastet mit geübten Fingern über die violetten Stellen an ihrem Arm. Die Diagnosegeräte in der Krankenstation haben ihr recht gegeben. Dieses Mal hat sie Glück gehabt: Ihre Knochen sind unversehrt, die Oberhaut ist nicht verletzt worden. Sie schließt die Taucherhaut wieder, um die blauen Flecken zu verbergen.
    Dann verlagert sie das Gewicht auf der Pritsche und dreht sich zur Innenwand um. Ihr Spiegelbild blickt sie durch Augen wie Milchglas an. Sie betrachtet die Erscheinung vor sich und beobachtet fasziniert, wie sie jede ihrer Bewegungen nachahmt. Das Wesen aus Fleisch und Blut und sein Phantom bewegen sich im Gleichtakt, die Körper verhüllt, die Gesichter ausdruckslos.
    Das bin ich, denkt sie. So sehe ich jetzt aus . Sie versucht zu erkennen, was sich hinter dieser spiegelglatten Fassade verbirgt. Bin ich gelangweilt, geil, verärgert? Wie soll man das feststellen, wenn die Augen hinter diesen undurchsichtigen Hornhautkappen verborgen sind? Sie sieht keine Spur von der Anspannung, die sie die ganze Zeit über in ihrem Innern spürt. Ich könnte völlig außer mir sein. Könnte mir vor Angst in die Taucherhaut pissen, und keiner würde es bemerken.
    Sie beugt sich vor. Das Spiegelbild kommt auf sie zu. Sie schauen einander an, messen einander mit weißen, eiskalten Blicken. Einen Moment lang vergessen sie sogar beinahe den ständigen Kampf der Station gegen den Druck. Einen Moment lang ist ihnen die klaustrophobische Einsamkeit, von der sie erfüllt sind, egal.
    Wie oft habe ich mir früher solche toten Augen gewünscht?, fragt sich Clarke.

    Der Korridor vor Clarkes Kabine ist von Beebes metallenen Eingeweiden durchzogen. Sie kann kaum aufrecht stehen. Nach wenigen Schritten gelangt sie in den Aufenthaltsraum.
    Ballard, wieder in Hemdsärmeln, sitzt an einem der Bibliotheksterminals. »Rachitis«, sagt sie.
    »Was?«
    »Die Fische hier unten bekommen nicht genügend Spurenelemente. Sie leiden unter chronischen Mangelerscheinungen. Ganz egal, wie heftig sie angreifen. Wenn sie zu kräftig zubeißen, brechen sie sich an uns die Zähne aus.«
    Clarke drückt ein paar Knöpfe am Küchenautomaten, der daraufhin rumpelnd zum Leben erwacht. »Ich dachte, in der Riftzone gäbe es genügend Nahrung. Deshalb werden die Lebewesen hier so groß.«
    »Es gibt tatsächlich eine Menge Nahrung. Aber sie ist nicht von guter Qualität.«
    Ein annähernd genießbarer Haufen Matsch quillt aus dem Küchenautomaten auf Clarkes Teller. Sie betrachtet ihn einen Moment lang misstrauisch. Das kann ich durchaus nachempfinden .
    »Wollen Sie in Ihrer Ausrüstung essen?«, fragt Ballard, als sich Clarke an den Tisch des Aufenthaltsraums setzt.
    Clarke blinzelt verständnislos. »Ja. Warum?«
    »Ach, nichts. Es wäre bloß netter, sich mit jemandem zu unterhalten, der Pupillen hat.«
    »Tut mir leid. Ich kann die Kappen herausnehmen, wenn es Sie …«
    »Nein. Kein Problem. Damit kann ich leben.« Ballard schaltet die Bibliothek aus und nimmt
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