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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition)
Autoren: Peter Watts
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gezwungener. Natürlich hat er von den Vorteilen der Xanthophylle gehört: UV-Schutz, Erhöhung des Sauerstoffgehalts im Blut, mehr Energie – sie sollen sogar zu einem geringeren Nährstoffbedarf führen; auch wenn sich diese Leute keine Gedanken darüber machen müssen, wie viel Geld sie für Lebensmittel ausgeben. Trotzdem ist das Ganze für Joels Geschmack einfach zu verdammt merkwürdig. Implantate sollten aus Gewebe bestehen oder zumindest aus Plastik. Wenn die Menschen dafür gemacht wären, Photosynthese zu betreiben, würden sie Blätter besitzen.
    »Ich habe gesagt …«
    Joel nickt. »Ein paar Jahre.«
    Ein Knurren. »Ich wusste nicht, dass es die Firma Tiefsee Safaris schon so lange gibt.«
    »Ich arbeite nicht für Tiefsee Safaris «, erwidert Joel so höflich wie möglich. »Ich bin selbstständig.« Der Grauhaarige weiß es vermutlich nicht besser. Er entstammt einer Generation, die noch jahraus jahrein demselben Arbeitgeber verpflichtet war. Damals hielt man das sogar für eine Errungenschaft.
    »Freut mich für Sie.« Mr. Latzhose klopft ihm väterlich auf die Schulter.
    Joel schiebt das Steuerruder ein wenig nach Backbord. Sie fahren mit ausgeschalteten Scheinwerfern an der südöstlichen Flanke des Meeresrückens entlang. Das Echolot zeigt eine wenig bemerkenswerte Landschaft aus Schlamm und Gesteinsbrocken. Die Riftzone selbst ist noch etwa fünf bis zehn Minuten entfernt. In dem Touristenprogramm auf dem Bildschirm geht es gerade um Riesenkalmare, die während des Zweiten Weltkriegs Rettungsboote angegriffen haben, und eine Parade von Archivphotos wird als Beweis gezeigt: menschliche Beine, die mit faustgroßen kegelförmigen Wunden überzogen sind, wo verhornte Saugnäpfe Fleischstücke herausgerissen haben.
    »Widerlich. Werden wir auch Riesenkalmare zu sehen bekommen?«
    Joel schüttelt den Kopf. »Das ist eine andere Tour.«
    Das Programm geht zu einer ganzen Litanei von Meeresungeheuern über: ein zerfetzter Kadaver, der an der Küste Floridas angespült wurde und darauf hindeutet, dass es Kraken von bis zu dreißig Metern Durchmesser geben könnte. Gigantische Aallarven. Hypothetische Ungeheuer, die vielleicht einmal die großen Wale gejagt haben und aufgrund von Nahrungsmangel ausgestorben sind, ohne Spuren zu hinterlassen.
    Joel vermutet, dass neunzig Prozent von all dem Schwachsinn ist, und der Rest spielt eigentlich keine Rolle. Selbst Riesenkalmare tauchen niemals in die wirkliche Tiefsee hinab; kaum ein Geschöpf tut das. Dort unten gibt es einfach nicht genug Nahrung. Joel fährt schon seit Jahren hier unten herum, und bisher hat er noch nie ein echtes Ungeheuer gesehen.
    Außer an der Riftzone natürlich. Er berührt einen Schalter; draußen schickt ein Lautsprecher mit lautem Heulen hochfrequente Wellen in die Tiefe hinab.
    »Überall in den Weltmeeren entspringen in den Dehnungszonen hydrothermale Quellen, aus denen blubbernd heißes Wasser aufsteigt«, plappert das Programm weiter. »Sie ernähren ganze Scharen von Riesenmuscheln und Bartwürmern, die bis zu drei Meter Länge erreichen können.« Archivaufnahmen von der Lebensgemeinschaft an einer Hydrothermalquelle. »Und dennoch sind es selbst in den Dehnungszonen nur die Filtrierer und Schlammwühler, die solch gewaltige Körpermaße erreichen. Fische – die wie wir Menschen Wirbeltiere sind – gibt es hier nur wenige, und sie werden höchstens ein paar Zentimeter groß.« Eine Aalmutter schlängelt sich kraftlos durchs Bild und erinnert eher an einen abgetrennten Finger als an einen Fisch.
    »Außer hier«, fügt das Programm nach einer dramatischen Pause hinzu. »Denn diese winzige Region des Juan-de-Fuca-Rückens hat etwas Besonderes an sich, für das es bis heute keine Erklärung gibt. Hier hausen Drachen.«
    Joel legt einen anderen Schalter um. An der Außenhülle leuchten Köderlampen auf, die das gesamte biolumineszente Spektrum abdecken. Gleichzeitig wird die Kabinenbeleuchtung gedimmt. Für die Riftzonenbewohner, die von den Schallwellen angelockt wurden, sieht es so aus, als sei in ihrer Mitte gerade eine ganze Schule Nahrungsfische aufgetaucht.
    »Wir kennen das Geheimnis der Channer-Quelle nicht. Wir wissen nicht, wie die seltsamen und faszinierenden Giganten entstehen, die sie hervorbringt.« Die Anzeige des Programms wird schwarz. »Wir wissen nur, dass wir hier, an der Flanke des Axial-Vulkans, endlich das Nest der Ungeheuer gefunden haben.«
    Etwas schlägt gegen die Außenhülle. Die Akustik in der
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