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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
Autoren: Robert Gordian
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anvertrauen.“
    „Warum?“
    „Weil du es Odda verraten würdest.“
    „Aber das werde ich nicht tun. Ich will ja auch nicht zu ihm zurück.“
    „Das wirst du wohl müssen, mein unglücklicher kleiner Verschwörer!“, sagte sie lachend. „Wo solltest du sonst hin?“
    „Berga!“, rief er, wobei er aufsprang und ihre Hand ergriff. „Du musst mir helfen! Odda würde Unterwerfung verlangen … dazu wäre ich niemals bereit. Niemals! Warum kann ich nicht hier bleiben? Wenn du fortgehst, könnte doch ich Chèvremont übernehmen. Die Festung ist uneinnehmbar, hier holt er mich nicht heraus. |323| Ich kenne schon viele hier in Lothringen … Grafen, Bischöfe, Äbte. Bin für sie der Held von Birten … sie schätzen mich, sie vertrauen mir. Hörst du? Ich könnte das Herzogtum für deinen Sohn erhalten. Vielleicht ein Königreich daraus machen, so wie es Giselbert vorhatte. Ich bin der Sohn eines Königs …“
    „Auch ich bin der Sohn eines Königs, mein lieber Henricus, und ich habe bereits ein Königreich!“, ließ sich plötzlich hinter ihnen eine forsche junge Stimme in romanischer Sprache vernehmen. „Und das Herzogtum Lothringen ist ein Teil davon. Warst du nicht selbst in Verdun dabei, als mir der Herzog – Gott erbarme sich seiner Seele – den Treueid leistete?“
    Am Fuße der Treppe, die von der Halle zu den herzoglichen Gemächern führte, stand, lässig auf die Schulter eines Dieners gestützt, der ihm aus einer Kanne den Morgentrunk einschenkte, ein junger Mann, etwa so alt wie Heinrich. Hinter ihm, auf der ersten Treppenstufe stehend, war ein zweiter Diener damit beschäftigt, ihm das lange schwarze Haar unter dem goldenen Stirnreif zu ordnen. Seine Tunika war von feinstem Brokat, seine Füße steckten in mit Edelsteinen verzierten, vergoldeten Pantoffeln. Er war nur mittelgroß, doch wohlgebaut und hatte ein vornehmes Pferdegesicht, das der dünne schwarze Kinnbart noch verlängerte. Fast nach jedem Satz, den er sprach, ließ er ein leises, meckerndes Lachen hören.
    „Ludwig!“, rief Heinrich betroffen.
    „Ich bin es, mein lieber Freund“, sagte der König der Westfranken und trat lächeln näher. „Ich sehe dich überrascht. Ja, ich habe die Festung mit diesen stolzen Türmen gestürmt und erobert!“
    Ohne Umstände näherte er sich Gerberga und küsste sie auf den Mund.
    „Ich hoffe, du hast gut geschlafen und wir haben nicht deine Ruhe gestört“, zwitscherte sie.
    „Oh, nach den scharfen Gefechten dieser Nacht schlief ich wie ein gefallener Krieger auf dem Schlachtfeld“, erwiderte der junge König schelmisch und küsste sie nochmals, diesmal auf Wange und Hals. Dann reichte er Heinrich die Hand. „Wie schön, dass wir uns noch einmal sehen, Henricus, nach dem überstürzten Abschied in Breisach. Ich freue mich, dass du am Leben bist und nicht das grausame Schicksal meiner Freunde Giselbert und Eberhard teilst.“
    Heinrich, der in den letzten Wochen und Monaten so viel Romanisch gelernt hatte, dass er sich verständlich machen konnte, sagte |324| mit einer hilflosen Geste: „Ja, ich … ich hatte Glück, bin davongekommen. So sehen wir uns also wieder. Ich wusste nicht, dass ihr noch hier seid. Dachte, ihr hättet euch zurückgezogen.“
    „Zurückgezogen? Aber warum denn? Wir sind hier – und wir bleiben. Hier herrschte mein Vater, hier herrsche ich. Das ist altes Frankenland, gehörte Jahrhunderte lang zum Westen. Euer Bruder wird sich damit abfinden müssen, wir werden zu einem friedlichen Ausgleich gelangen. Zumal … was meinst du, Geliebte“, wandte er sich an Gerberga, „sollten wir vor ihm nicht doch das Geheimnis lüften?“
    „Ist es dazu nicht noch zu früh?“, fragte sie.
    „Aber nein! Ich habe euch eben ein wenig belauscht. Dein Bruder Odda will dich zu den Barbaren nach Bayern schicken? Was für ein entsetzlicher Einfall! Wir sollten ihm helfen, damit er diesen verstiegenen Plan nicht weiter verfolgt. Wir sollten es ihm rundheraus mitteilen.“
    „Wenn du meinst, Ludovicus“, sagte sie errötend.
    „Ja, das meine ich. Und auch Henricus muss es wissen, ihn geht es ja ebenfalls an. Wir werden ja nun Verwandte sein. Lieber Freund, so höre nun also, es ist beschlossen. An dem Tag, an dem unser teurer Giselbert im Rhein unterging, ist die Sonne unseres Glücks aufgegangen. Deine Schwester und ich – wir werden noch in diesem Jahr heiraten!“
    „Ihr werdet … heiraten?“, stammelte Heinrich.
    „Ja, kleiner Bruder“, bestätigte die Herzogin,
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