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Aber bitte mit Sake

Aber bitte mit Sake

Titel: Aber bitte mit Sake
Autoren: Dana Phillips
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ordentlich und gesittet Aufstellung genommen haben, fangen langsam an, sich im Takt der Musik zu bewegen. Itchi, Ni, Itchi, Ni tönt es zu mir herauf, und beim Anblick von Kyoko, die wie immer in der ersten Reihe steht und hingebungsvoll ihre steife Hüfte bewegt, schnürt es mir den Hals zu. Neben ihr steht Gaki, die in ihrer Schiffsmutter Kyoko eine echte Bezugsperson gefunden und sich vom Crazy-Manga-Girl zur Musterschülerin gemausert hat. Weiter hinten entdecke ich Herrn Murakami, der durchtrainiert und mit jugendlichem Elan die Arme in die Luft wirft, neben ihm die kleine Hibakusha-Dame. Ganz unjapanisch lassen sie sich immer wieder voneinander ablenken und rufen sich das eine oder andere zu, worüber sie sich sehr zu amüsieren scheinen. Irre ich mich oder stehen sie ungewöhnlich dicht beieinander?
    Mittlerweile sind wir fast im Hafen von Havanna angekommen. Eigentlich müsste ich wieder in meine Kabine gehen und meine Koffer zu Ende packen, aber alles in mir sträubt sich dagegen. Langsam steige ich die Treppen zum Pooldeck hinab, steuere auf die Gymnastikgruppe zu, und bahne mir den Weg durch eine Reihe Japaner. Herr Murakami winkt mir zu. Vorsichtig schiebe ich mich zwischen Kyoko und Gaki in die erste Reihe. Kyoko schaut kurz auf und lächelt. Ich weiß genau, was sie denkt, es steht ihr auf die Stirn geschrieben: Früher oder später kriegen wir sie alle . Gaki grinst und macht das Victory-Zeichen. Langsam beginne ich, meine Arme im Takt der Musik zu bewegen. Itchi, Ni, Itchi, Ni . Und irgendwie fühlt es sich gar nicht schlecht an, in aller Herrgottsfrühe unter karibischem Himmel ein paar gepflegte Kniebeugen zu machen und wenig später beim Frühstück zu sitzen, in dem Gefühl, bereits etwas getan zu haben. Nachdem ich ein letztes Mal eine Schüssel Reis und eine Misosuppe verschlungen und mir sogar zum Abschied einen ganzen Fisch gegönnt habe, mache ich mich mit den anderen auf den Weg in die Stadt.
    Der Hafen von Havanna befindet sich nicht außerhalb, sondern unmittelbar am Rande des alten Zentrums, sodass wir, nachdem wir die Straße überquert haben, direkt in die Innenstadt laufen. Insgesamt sind wir ein stattliches Grüppchen geworden, und ich wundere mich über mich selbst, dass ich, anstatt allein und flexibel Havanna zu erkunden, alle Japaner zusammengetrommelt habe, die mir an diesem Morgen über den Weg gelaufen sind und zu denen ich während meiner Reise eine Beziehung aufgebaut habe. Kyoko, Gaki, Riku, Herr Murakami, sowie die kleine weißhaarige Hibakusha-Lady trotten hinter mir her. Frau Matsunaga hat die Atombombe ebenfalls in Hiroshima fallen sehen und bei der unfassbaren Katastrophe im Alter von dreizehn Jahren ihre Großmutter verloren. Obwohl sie durch die Explosion stark verbrannt wurde und an den akuten Symptomen der Strahlenkrankheit zu leiden hatte, sieht sie heute aus wie das blühende Leben. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass die beiden Hibakusha sich an den Händen halten. Ob sie hier auf dem Schiff zueinandergefunden haben? Sich verliebt, mit über achtzig? Ich würde es mir so für sie wünschen!
    Ich zucke zusammen, als sich ein Kubaner neben mir am Straßenrand lauthals in ein rotes Taschentuch schnäuzt. Langsam aber sicher, habe ich mich nicht nur an die kulturellen japanischen Gepflogen- und Gewohnheiten gewöhnt, sondern sie Stück für Stück übernommen. Es sind Momente wie diese, die mir gerade in den letzten Tagen deutlich gezeigt haben, wie sehr alles nur von der Perspektive abhängt. Wie merkwürdig, dass wir immer ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass das, was wir für normal halten, auch normal ist. Dabei scheinen wir für andere auch ziemlich exotisch zu sein, das wird mehr als deutlich, während ich mit den ganzkörperverhüllten Trippelschrittchen-Japanern Havanna erkunde. Im Vergleich zu den üppigen braungebrannten Frauen, die mit wiegenden Hüften die Straße entlangwandern, und den uns taxierenden Männer, die an den Hauswänden lehnen, wirken wir wie eine Prozession von Zirkustieren. Wie es wohl meinen Reisegenossen beim Anblick der prachtvollen, aber verfallenden Häuserkulissen geht, die so in Japan nicht zu finden sind? Ob sie sich unwohl fühlen bei all der kubanischen Körperlichkeit, die die Luft um uns herum zum Vibrieren bringt? Ob die Oldtimer, die das Straßenbild hier prägen, in ihnen genauso nostalgische Gefühle wecken wie in mir? Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung, denn so oft ich mich auch umdrehe und versuche, die
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