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Aber bitte mit Sake

Aber bitte mit Sake

Titel: Aber bitte mit Sake
Autoren: Dana Phillips
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Quadratmeter dafür opfern?
    Während ich heißes Wasser einlaufen lasse, muss ich zu meiner Schande gestehen, dass dies nicht die einzige Frage ist, die sich in Bezug auf die japanische Kultur vor mir auftut. Kurz darauf sitze ich zwischen Schaumbergen und liste in Gedanken auf, was ich über Japan und die Japaner weiß. Aber die Liste ist kurz. Sie fotografieren gerne. Sie verbeugen sich. Sie tragen Kimonos und essen Sushi. Und: Sie fahren auf der linken Straßenseite. Das ist praktisch alles, was mir einfällt.
    Eine Stunde später verlasse ich das Hotel. Die Gegend um die U-Bahnstation Akasaka wirkt extrem ruhig. Zumindest angesichts der Tatsache, dass Tokio eine Millionenmetropole ist. Es ist kalt und ich ziehe meinen Wintermantel fester um mich. Der Tag ist noch lang, aber mir fallen jetzt schon fast die Augen zu. Deshalb steuere ich direkt eine Filiale einer Kaffeehauskette an, die in der Nähe meines Hotels an einer Kreuzung liegt. Hätte ich doch bloß die Zeit gehabt, einen Basiswortschatz Japanisch aufzubauen! Dieser Auftrag aber kam so unerwartet, dass ich gerade noch Zeit hatte, meine Sachen zu packen. Das einzige Wort, das ich auf Japanisch sagen kann, ist daher »Prost«: Kanpai . Vielleicht sollte ich mir einen Sake, den man hier Nihonshu , also einfach japanischen Alkohol, nennt, bestellen. Aber für den ist es jetzt noch etwas früh. Ich reihe mich in die lange Warteschlange ein. Es fühlt sich seltsam an hier zu stehen, denn ich überrage alle Anwesenden mindestens um einen Kopf. Von allen Seiten wirft man mir interessierte Blicke zu. Ich fühle mich wie eine Giraffe im Zoo. Die Menschen vor mir bewegen sich, genau wie die Verkäuferin hinterm Tresen, nur in Zeitlupe. Ungeduldig wechsele ich von einem Bein auf das andere. Ob Langsamkeit wohl typisch japanisch ist?
    »Einen kleinen Latte Macchiato bitte und ein Stück Käsekuchen mit Mohn«, sage ich auf Englisch, als ich endlich an der Reihe bin.
    »Ahhhhhhh.« Die Bedienung schaut irritiert aus der adretten Schürze. Dann feuert sie eine Salve japanischer Sätze auf mich ab.
    »Ich verstehe Sie nicht.« Hilflos zucke ich mit den Schultern. Dann entscheide ich mich dafür, meinen Wortschatz fragmentarisch zu gebrauchen.
    »Kaffee?«
    »Aooohhh, kohi , Kaffee!« Mein Gegenüber nickt eifrig. Na bitte.
    »Käsekuchen mit Mohn?«, versuche ich es erneut.
    »Ahhh, hai, hai «, haucht sie und verschwindet. Geht doch! Zufrieden lehne ich mich gegen den Tresen. Wir können uns eben auch dann verständigen, wenn wir nicht die gleiche Sprache sprechen. Wenig später kehrt die Verkäuferin mit einer Tasse Kaffee und einem Käseschinkentoast zurück. Verstört blicke ich sie an, dann nicke ich resigniert und transportiere mein Tablett zu einem Tisch. Aufgrund meiner fehlenden Japanischkenntnisse habe ich mindestens eine Viertelstunde lang den Betrieb aufgehalten. Dennoch harren die Menschen hinter mir seelenruhig aus. Kein Zeichen der Ungeduld, kein Füßescharren, kein Blick, der mich zur Eile treibt. Stattdessen unbewegte Gesichter, die nahelegen, dass alle Anwesenden so lange, bis sie an die Reihe kommen, einfach in die innere Emigration gegangen sind. In Deutschland hätte sich der kollektive Unmut längst über mir entladen.
    Erschöpft von meinem ersten, nur halbwegs geglückten Kommunikationsversuch, wandere ich wenig später zu Fuß durch Akasaka, vorbei an Plattenbauten, internationalen Restaurants und japanischen Patisserien, in deren Schaufensterauslagen bunt verpackte Kuchen locken, bis zum Eingang eines Schreins. Ich blättere in meinem Stadtführer. Fünf Minuten von Tokio Midtown entfernt befindet sich Nogi-Jinja, ein kleiner Schrein mit einem Terrassengarten, der den in der Meiji-Ära (1868–1912) lebenden General Nogi Maresuke ehrt. Er war ein Held im Sino-Japanischen und Russisch-Japanischen Krieg. Als Kaiser Meiji starb, folgten Nogi Maresuke und seine Frau einer alten Samurai Tradition und begingen Selbstmord in ihrem Haus auf dem Schrein-Areal. Dem Herrscher freiwillig in den Tod folgen. Für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Loyalität! Kopfschüttelnd betrete ich den Schrein durch ein Tor mit zwei Querbalken, das sogenannte Torii. Ein paar Schritte weiter stoße ich auf ein Waschbecken aus Holz, in dem ein paar Kellen schwimmen. Wozu das wohl gut ist? Das Areal überquerend, laufe ich an zwei Frauen vorbei, die auf einer Bank sitzen und Tee trinken. Nachdem sie mich aus den Augenwinkeln einen Moment beobachtet haben, stehen sie
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