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Abendruh: Thriller (German Edition)

Abendruh: Thriller (German Edition)

Titel: Abendruh: Thriller (German Edition)
Autoren: Tess Gerritsen
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an Respekt erarbeitet hatte, konnte jederzeit wieder infrage gestellt werden, und hier wartete schon die nächste Bewährungsprobe auf sie.
    Sie folgte ihm durch einen Salon, dessen sechs Meter hohe Decke kunstvoll mit Putten und Weinranken bemalt und mit Blattgold-Rosetten verziert war. Doch sie hatte kaum Gelegenheit, die Decke oder die Ölgemälde an der Wand zu bewundern, denn Crowe ging gleich weiter in die Bibliothek, wo Jane Lieutenant Marquette und Dr. Maura Isles entdeckte. An diesem warmen Junitag trug Maura eine pfirsichfarbene Bluse, eine ungewöhnlich fröhliche Farbe für eine Frau, die sonst winterliches Schwarz und Grau bevorzugte. Mit ihrem eleganten geometrischen Haarschnitt und ihren feinen Zügen sah Maura aus wie eine Frau, die tatsächlich in einer Stadtvilla wie dieser wohnen könnte, umgeben von Ölgemälden und Perserteppichen.
    Rings um sie herum standen Bücher in Mahagoniregalen, die bis zur Decke reichten. Ein paar der Bände waren auf den Boden gefallen, wo ein silberhaariger Mann mit dem Gesicht nach unten lag. Ein Arm lehnte ausgestreckt am Regal, so, als habe das Opfer noch im Sterben nach einem Buch gegriffen. Der Mann war mit einem Pyjama und Hausschuhen bekleidet. Die Kugel hatte seine Hand und seine Stirn durchschlagen, und im Regal über der Leiche waren die Ledereinbände mit einem strahlenförmigen Muster von Blutströpfchen überzogen. Er hat die Hand gehoben, um die Kugel abzuwehren, dachte Jane. Er hat es kommen sehen. Er hat gewusst, dass er sterben würde.
    »Meine Schätzung des Todeszeitpunkts stimmt mit dem überein, was der Zeuge Ihnen gesagt hat«, sagte Maura zu Marquette.
    »Also in den frühen Morgenstunden. Irgendwann nach Mitternacht.«
    »Ja.«
    Jane beugte sich über die Leiche und musterte die Eintrittswunde. »Kaliber 0.38?«
    »Oder eventuell .357«, sagte Maura.
    »Das wisst ihr nicht? Es gibt keine Patronenhülsen?«
    »Nicht eine einzige im ganzen Haus.«
    Jane sah überrascht auf. »Wow, was für ein ordentlicher Mörder. Nimmt seinen Müll gleich mit.«
    »Ordentlich in mehrerlei Hinsicht«, entgegnete Maura, während ihr Blick nachdenklich auf dem toten Bernard Ackerman ruhte. »Der Täter ist schnell und effizient vorgegangen. Mit einem Minimum an Unordnung. Genau wie oben.«
    Oben, dachte Jane. Die Kinder. »Die anderen Familienmitglieder«, sagte sie und klang dabei gefasster, als sie sich fühlte, »sind die zur gleichen Zeit gestorben wie Mr. Ackerman? Oder gab es da eine Verzögerung?«
    »Meine Schätzung ist nur ein Näherungswert. Um Genaueres sagen zu können, brauchen wir eine bessere Zeugenaussage.«
    »Die Detective Rizzoli uns besorgen wird«, sagte Crowe.
    »Woher wollt ihr wissen, dass ich mehr aus dem Jungen herausbekomme?«, entgegnete Jane. »Ich kann auch keine Wunder wirken.«
    »Wir zählen auf dich, weil wir bis jetzt kaum etwas in der Hand haben. Nur ein paar Fingerabdrücke von der Klinke der Küchentür. Keine Hinweise auf einen Einbruch. Und die Alarmanlage war ausgeschaltet.«
    »Ausgeschaltet?« Jane sah auf die Leiche hinunter. »Klingt so, als hätte Mr. Ackerman seinen Mörder selbst ins Haus gelassen.«
    »Oder vielleicht hatte er einfach nur vergessen, sie einzuschalten. Dann hat er ein Geräusch gehört und ist nach unten geeilt, um nachzusehen.«
    »Vielleicht ein Raubüberfall? Fehlt irgendetwas?«
    »Mrs. Ackermans Schmuckschatulle oben im Schlafzimmer hat er offenbar nicht angerührt«, antwortete Crowe. »Seine Geldbörse und ihre Handtasche liegen noch auf der Kommode.«
    »Der Mörder war auch in ihrem Schlafzimmer?«
    »O ja. Er war in ihrem Schlafzimmer. Er war in allen Schlafzimmern.« Sie hörte den unheilvollen Unterton in Crowes Stimme und wusste, dass das, was sie oben erwartete, weit schlimmer war als diese blutbespritzte Bibliothek.
    Maura sagte leise: »Ich kann mit dir nach oben gehen, Jane.«
    Jane folgte ihr zurück in die Eingangshalle. Beide sprachen kein Wort, als ob sie diese bedrückende Pflicht am besten schweigend hinter sich bringen könnten. Während sie die Prunktreppe hinaufstiegen, entdeckte Jane Kunstschätze, wohin sie auch schaute. Eine antike Uhr. Ein Gemälde, das eine Frau in Rot zeigte. Details, die sie automatisch registrierte, während sie sich innerlich schon auf das gefasst machte, was sie in den oberen Stockwerken erwartete. In den Schlafzimmern.
    Oben angekommen, wandte Maura sich nach rechts und ging zu dem Zimmer am Ende des Flurs. Durch die offene Tür konnte Jane ihren
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