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Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Titel: Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Autoren: Olaf Kraemer
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weinte. Aber sie brachte es nicht fertig, die Tiere zu retten. Ihr Weinen hallte durch den Tunnel und verschwand mit den grauen Nagern im Dunkel.
    „Weiter!“, befahl Simon. Er war jetzt dicht hinter Edda. Es tat ihr gut, dass er ihr das Gefühl gab, beschützt zu sein.
    „Ich hasse Ratten“, schluchzte Edda und zitterte noch am ganzen Körper. „Aber wie sie um ihr Leben gekämpft haben, Simon, so verzweifelt. Ich hätte sie ... retten können.“
    Edda wollte sich einfach fallen lassen, sich setzen, mitten ins Wasser. Der Untergrund, das Erbrechen, die Ratten und die immer stärker steigende Flut waren zu viel für sie. Und dass das so war, machte alles noch schlimmer.
    „Edda! Es geht um Marie! Nicht um diese Viecher! Außerdem sind Ratten echt gute Schwimmer. Die kommen schon klar, keine Sorge!“
    Damit schob Simon Edda voran. Es gefiel ihm, dass sie nach seiner Hand griff. Linus merkte nichts von dieser Geste. Er biss sich auf die Lippen. Er ärgerte sich. Warum zum Teufel hatte er nicht einkalkuliert, dass das Wetter draußen zu einem Problem werden könnte? In den letzten Tagen waren seine Lebensgeister zurückgekehrt. Er hatte sich als Held gefühlt, als Outlaw, und er hatte sich ein paarmal dabei erwischt, wie er der Romantik des Lebens auf der Straße erlegen war. Der Freiheit. Keine Schule. Heute hier, morgen dort. Schnorren. Betteln. Die Nächte in leer stehenden Häusern, in Parkgaragen. Abenteuer. Und das Tüfteln an dem Plan, Eddas Großmutter zu retten. Jeden Tag mit Edda einzuschlafen und neben ihr aufzuwachen. Erst die Sache auf den Gleisen hatte ihn wieder in die Realität zurückgeholt. Er hatte in Simons Augen geblickt, hatte seine Angst gespürt. Und für einen Moment hatte er das Gefühl gehabt, Simons Gedanken folgen zu können. Den Bildern, die in Simons Hirn auftauchten. Bilder eines zugefrorenen Sees. Bilder eines leblosen, kleinen Körpers. Und dann, mit Simons Schrei, war es Linus gewesen, als hätte er auch den Schmerz gespürt, den Simon hatte aushalten müssen. Um sich zu befreien. Vielleicht war es auch ein Schmerz, dessen Ursprung noch viel tiefer führte. Weg von dem Finger. Tief in Simons Seele. Linus hatte mit Simon nicht darüber geredet. Es kam ihm zu blöd vor. Als ob er ihn hätte trösten wollen. Aber da war etwas zwischen Linus und seinen beiden Freunden, das ihn in ihre Seelen schauen ließ. Immer dann, wenn Angst im Spiel war. Wie war das jetzt? Jetzt gerade? Er versuchte sich auf die Freunde zu konzentrieren. Es gelang ihm nicht. Zu sehr beschäftigte ihn, dass sein Plan zu scheitern drohte. Sollte er es den anderen sagen? Solange das Wasser nicht weiterstieg, konnten sie es schaffen. Wenn er Angst bekam – würden sie dann auch Angst bekommen? Würde dann alles scheitern? Linus wollte alles tun, um das zu verhindern. Denn dann wäre er wieder der kleine Linus, der Junge, der nicht gut genug war für GENE-SYS , nicht gut genug, der Freund seiner Freunde zu sein.
    Tapfer arbeitete er sich weiter voran. Sie hatten gerade mal die Hälfte des Weges hinter sich. Er spürte, wie sein Herz klopfte. Es klopfte nicht nur vor Anstrengung. Edda blickte ihn an. Spürte sie, was er dachte?
    Nach der Sache auf den Gleisen hatte sich Linus in der Uni-Bibliothek Bücher besorgt und nach einer Erklärung gesucht, warum er in Momenten der Angst mit Edda ohne zu reden kommunizieren konnte, warum er Simons Angst und Schmerz gespürt hatte. Viel hatte er in den Büchern nicht gefunden. Aber es ging um Mitgefühl, um Empathie. Das war wohl die Basis, um dieses Phänomen zu erklären. In einem der Bücher wurde es als so etwas wie ein Urinstinkt beschrieben. Etwas, das in jedem Menschen verborgen als Fähigkeit, als Information schlummerte. Das Buch war von Carl Bernikoff, aber Linus hatte diese theoretische Abhandlung von 1943 nur überflogen. Es war ihm viel zu kompliziert geschrieben. Warum mussten Wissenschaftler immer so geschwollen reden? Als wollten sie alle, die etwas anderes dachten, abwehren. Als wollten sie mit Absicht verhindern, dass jeder Normalo sie verstand. Vielleicht wäre ja auch sonst aufgefallen, dass das alles gar nicht so große Gedanken waren, die da auf Hunderten, Tausenden Seiten in den Bibliotheken schlummerten. Aber Linus hatte zumindest begriffen, dass der Autor den Beweis führte, dass die christliche Religion den Menschen irgendwann all diese Fähigkeiten genommen und Gott überschrieben hatte. Zur Stärkung der Macht der Kirche.
    „Vorsicht!“, rief
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