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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier
Autoren: Peter J. Kraus
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Feierabend. Schon gar nicht von meinem Mobiltelefon aus.
    Ricky spielte im Sand, während ich wählte. Erst mal rief ich meine Mutter an. Die natürlich nicht zu Hause war. Dann Ignacio.
    Das Telefon klingelte eine halbe Ewigkeit, ehe jemand abnahm.
    „Mission San Miguel“, meldete sich eine helle Stimme.
    „Bruder Ignacio, bitte.“
    „Einen Moment.“ Ich hörte, wie jemand über einen Steinboden schlurfte. Birkenstock ist die bevorzugte Marke unter kalifornischen Franziskanern. Dieser hatte das Gummiprofil seiner Latschen sicher bis auf den Schammillimeter abgenutzt.
    „Ja? Ignacio?“ Er hatte immer diesen fragenden Nachhall gehabt, wenn er sich am Telefon meldete. Ich hatte seit gut einem Jahr nicht mehr mit ihm gesprochen.
    „Bruder Ignacio?“
    Er ließ sich nicht anmerken, dass er wusste, wer mit ihm sprach. Ist doch zu was wert, die Kriminalistenlaufbahn, die dem Fachmann beibringt, mit Pokermiene und entsprechend leidenschaftsloser Stimme durchs Leben zu gehen. Sowas verlernt man nicht, auch nicht, wenn man den Beruf wechselt.
    „Ja?“
    „Ich muss dringend beichten, Bruder. Darf ich in den nächsten Tagen bei Ihnen vorbeischauen?“
    „Gern, mein Sohn. Rufe an, ehe du kommst. Ich bin täglich hier im Kloster, bis auf Montags. Da muss ich nachmittags nach King City, aber sonst bin ich immer da.“
    Alles klar. Ich bedankte mich und legte den Hörer auf. Kaum anzunehmen, dass abgehört wurde. Selbst wenn jemand mithörte, hatten wir nicht lange genug gesprochen, um das Telefonat zu mir zurück zu verfolgen.
    Ich probierte am nächsten Morgen noch mal Mutters Telefonnummer, aber es klingelte durch. Typisch. War schwer zu erwischen, die Dame. Seit mein Alter abkratzte und ihr der Umfang seiner verblüffenden außerehelichen Vitalität endlich klar wurde, hängt sie der sehr vernünftigen Philosophie des carpe diem an. Keine Kreuzfahrt ohne die Witwe Gutman, keine Strandbegehung ohne sie, kein Freiwilligenjob im Umkreis von zwanzig Meilen, den sie nicht gemacht hatte, gerade machte oder bald machen würde.
    Sollte sich endlich mal einen Anrufbeantworter zulegen. Aber was rege ich mich auf. Wir beide kommen ziemlich gut miteinander aus, weil wir uns gegenseitig in Ruhe lassen.
     
    Ich ließ nach dem Mittagessen die Dieseltanks auffüllen, zahlte bar und warf die Mühle an. Dann tuckerten wir zum Hafen hinaus, umfuhren die südliche Inselspitze, kreuzten die Fährenfahrtrinne und liefen an der Inselkette vorbei in Richtung Santa Barbara. Gegen einundzwanzig Uhr würden wir dort ankommen und übernachten, falls mir danach war. Ansonsten würden wir weitere zweieinhalb Stunden die Küste hoch fahren und entweder in Avila oder Morro Bay ankern.
    Schön, mal wieder zu Hause zu sein. Ich war zwar schon öfter wieder in Kalifornien – die Cops suchten mich nicht, ganz entgegen meiner damaligen Annahme, und meine faulen Papiere waren allererste Qualität, was man Fälscher Bobby hoch anrechnen musste – aber noch nie wieder so weit im Norden, noch nicht wieder in der Nähe des Landstriches, in dem ich aufwuchs und wo mich jeder kannte. Immerhin war ich mein Leben lang Radiofritze hier oben, habe zeitlebens gesurft und fehlte auf keinem Konzert, keiner Vollmond-Strandparty und hatte meinen Ruf als Spezialist für Gelage jeder Art hart erarbeitet. Dass mich die Bullen nicht suchten, führte ich auf die Intervention des ehemaligen Kriminalen und nunmehrigen Franziskanerpaters Ignacio zurück, obwohl der nie meinen Verdacht bestätigte. Widersprach ihm allerdings auch nicht.
     
    Die Channel Islands lagen wolkenlos und friedlich inmitten eines dunkelroten Sonnenunterganges, als ich mich entschloss, doch weiterzufahren. Durch den Santa-Barbara-Channel, immer auf der Hut vor wild gewordenen Öltankern und zugekifften Seeigel-Tauchern, und hinter den funkelnden Lichtern Pismos hart rechts. Meine Rückkehr in die Bucht von Avila war ein Heimkommen besonderer Art. Hier hatte ich mit Julie die entscheidende Nacht verbracht, hier waren wir abends miteinander ins Bett gegangen, wie so oft, und morgens bin ich aufgewacht und wusste, dass ich sie liebe. Schön war´s. Dass es nicht dauerte, war wohl der Normalzustand. Alle meine Bekannten waren geschieden, lebten getrennt oder fremdelten auf Teufel komm raus. Man muss sich also über jeden Tag gelungener Zweisamkeit freuen. In meinem Fall war Ricky eine stete Erinnerung an die guten Zeiten. Was ich besonders schätzte.
    Ich streichelte gedankenabwesend seinen Kopf. Er
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