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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier
Autoren: Peter J. Kraus
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hoffen oder befürchten ließ.
     
    Juan ließ das Trawlerheck an den Steg knallen, als ich schon die wenigen Meter zum Hotel lief. Die Gaffer schauten mich groß an und machten mir stumm eine Gasse frei. Hinter der Absperrung stand der hochmütige, säbelbeinige Leutnant Medina, Herr des Dorfes und Vertreter der Staatsgewalt im fernen Mexicali. Der Polizist zog seine Jacke straff, als er mich sah, machte eine Vierteldrehung und streckte mir seine erhobene Hand entgegen. Ich bremste hart ab, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.
    „Gott sei gedankt, dass Sie hier sind, ...", begann der Leutnant seinen sicherlich ausführlichen Bericht, aber ich war nicht in der Stimmung, seine offiziöse Langatmigkeit zu dulden.
    „Was ist passiert?“
    „Ein Unfall. Eine Gasexplosion“, schätzte Medina. Er nahm mich am Ärmel und führte mich um die Ruine meines Besitzes. Meine Augen tränten, weil beißender Rauch bei mir immer diese Reaktion hervorruft, aber der Beamte meinte wohl, das sei die einsetzende Erkenntnis meines Unglücks. Er beschleunigte seinen Schritt, bis er ein paar Meter vor mir ging, schaute stur geradeaus und hielt die Respektsenfernung ein. Männer weinen nicht. Wenn doch, muss man sie mit ihrem Schmerz allein lassen.
    „Und ... sind Herr und Frau Palacios unverletzt?“
    „Wissen wir nicht, Señor Jon“, bedauerte Medina mit Hollywooder Grabesstimme. „Sie wurden seit der Explosion nicht gesehen. Waren die Palacios im Haus, als Sie hinausfuhren?“
    Logisch waren sie das. Ich bin um halb sieben los, was ich dem Bullen auch sagte. Klar, dass die beiden kaum so früh aufstehen würden. Doch ich bemerkte, dass ihr Auto nicht auf seinem gewohnten Platz stand. „Vielleicht sind sie doch davongekommen.“
     
    Selbst nach solch langer Zeit musste ich höllisch aufpassen, dass ich Rick und Misty nicht bei ihren richtigen Namen nannte. Javier Palacios galt als echter Chicano, als amerikanisch-kalifornischer Mexikaner zweiter Generation, was die blütenweißen gedankenlos-rassistischen Eltern meines Kumpels Rick mit Sicherheit im Grab rotieren ließ. Misty, die ehemalige Schönheitstänzerin aus der Mojavewüste, kannten die Dörfler nur als Señora Palacios, zahnbehaarte Gattin des lockeren Schiffsführers und Hoteliers.
     
    Der Leutnant glaubte nicht an Wunder. Seine Erfahrung mit Naturkatastrophen, Explosionen und allerlei politischem Unfug war umfassend, ließ er mich wissen. „Das passierte blitzartig.“ Fulminante war sein Ausdruck, eine gesungene Vokabel. “Veloz como un rayo”, verdeutlichte er, wobei er den Anfangsbuchstaben des rayo rrrrollte.
    „Niemand konnte der Explosion entkommen", sagte der Teniente und streckte den Arm in einer umfassenden Geste aus. „Der Schaden lässt sich noch nicht überblicken. Das Feuer muss sich ausbrennen - vor morgen wird niemand die Ruine betreten können“.
    Vielleicht hatte Rick sein Auto wieder irgendwo im Dorf oder am Strand stehen lassen. Vielleicht hatte er es verliehen, was öfter vorkam. Medina versprach, sich darum zu kümmern.
    „Wissen Sie, ob Gästezimmer belegt waren?“
    Die wenigen Gäste, die wir noch zu dieser heißen Jahreszeit beherbergten, waren zum Glück im Halbkreis einstöckiger Bungalows untergebracht. Denen war nichts passiert.
     
    Ich versprach, mich später bei ihm zu melden. Erst musste ich sicher sein, dass mein Sohn bei seinem Kindermädchen war. Er hatte wie so oft in letzter Zeit die Nacht bei ihr verbracht. Ich trabte also zum Häuschen, das Juana Guadalupe Ramos mit ihrem Mann und den sechs eigenen Kindern bewohnte, und sah schon von weitem Ricky am Strand spielen. Na, also.
     
    Juana lief mir entgegen und warf die Arme um mich.
    „Furchtbar, Senor Jon.“
    „Schlimm, Juana, ja. Weißt du zufällig, ob Señora Palacios und Javier......?“
    Sie schüttelte stumm den Kopf. „Ich war heute noch gar nicht im Dorf. Jose ist gestern Abend rausgefahren, auf Thunfischfang, und kommt frühestens heute Abend heim. Ich war seither zu Hause“. Sie sagte es zu schnell. Ich wunderte mich kurz, vergaß es aber gleich wieder.
    „Ricky fragt schon den ganzen Tag nach Señora Julie", sagte sie. Was nicht mehr allzu oft vorkam. Die erste Woche nach ihrem Verschwinden nörgelte er dauernd, aber dann schien er sich mit ihrem Fehlen abgefunden zu haben. Umso erstaunlicher, dass er aus heiterem Himmel wieder damit anfing.
    „Ich nehme ihn mit. Er braucht jetzt seinen Vater.“ Oder der Vater seinen Sohn.
    „Dann komme ich schnell mit
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