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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier
Autoren: Peter J. Kraus
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schaute mit leuchtenden Augen von seinem Comic auf, lächelte und sagte deutlich und akzentfrei „I love you, daddy.“ Was mich fast zum Heulen brachte. Ich drückte ihn, bis er wie ein Huhn gackerte. Leichtes Kitzeln genügt da schon. Mit der Rechten drückte ich, während ich mit der Linken bauchkitzelte.
    „Hombrecito“, gurrte ich.
    „Shithead“ konterte der Fast-Vierjährige.
     
    Wir ankerten in der Bucht und schliefen eine Runde. Gegen sechs wurde Ricky wach, kroch in meine Koje und begann, auf mir herumzuhüpfen. Womit die Nacht vorbei war. Wir wuschen uns, zogen relativ frische Klamotten an, ich schnappte seinen kleinen Koffer und wir tuckerten im Beiboot an den Steg.
    Nach dem Frühstück stand unser Taxi vor der Kneipentür. Wir ließen uns zum Flughafen von San Luis Obispo bringen und mieteten einen schicken neuen Dodge. Ich rief Wong an, aber der Waffenhändler war noch nicht im Laden. Später, also.
     
    Um neun hielt ich vor meinem Elternhaus. Der Alte hatte viel falsch, aber einiges richtig gemacht. Herumgevögelt, als könne er bei jeder Nummer etwas Neues lernen. Das Geld, das er als Arzt mit Familienpraxis verdiente, haute er so schnell auf den Kopf, dass von den Millionen, die er in den Jahren vor seinem Tod eingenommen hatte, nur noch Krümel übrig waren. Aber er hatte sich schon früh an Vater und Großvater ein Beispiel genommen, hatte wie sie an Immobilien einen Narren gefressen. Er kaufte noch vor meiner Geburt für wenig Geld unser Haus, hatte insgeheim seine vollbezahlte Liebeslaube am Strand unterhalten, die ich schließlich erbte, und hatte ein paar Geschäftshäuser in der Pismoer Innenstadt ergattert, hatte sie alle finanziert und die Kredite mit Lebensversicherungspolicen abgesichert. Was meinem Mütterchen ein ordentliches Polster verschaffte. Als sie von ihrem Anwalt erfuhr, dass Doktor Gutman seiner langjährigen Schickse eine hübsche, teure Eigentumswohnung in bester Lage Hollywoods hinterlassen habe und Mutter den Nachlass aus Moralgründen anfechten könne, verzichtete sie. „Soll auch was davon haben, dass sie hinhalten musste und mir die Rammelei ersparte. Jeder soll für seine Arbeit bezahlt werden; dass ich meine Ruhe hatte, ist mir eine Wohnung wert.“ Meine Mutter.
     
    Ich klingelte. Schritte wurden hörbar, der Spion verdunkelte, ich hörte einen spitzen Schrei, und dann riss Mutter die Tür auf. Mich schaute sie gar nicht an in ihrer Hast, den Ricky zu greifen. Der tänzelte zwar ausweichend, aber der kannte meine Mutter nicht. Sie war mit allen Kinderfinten vertraut – griff zu und erwischte ihren wegduckenden Enkel mit tödlicher Sicherheit. Schwupp saß er in ihrer Armbeuge, wurde ans großmütterliche Gesicht gehoben und mit frischaufgetragenem Hellrot gestempelt.
     
    Ihm gefiel das, dem Kleinen. Keinen Ton gab er von sich, versuchte nur, seinen grinsenden Kopf zu schützen und rollte sich auf ihrem Arm zu einem Ball zusammen. Sie küsste, wo sie gerade hinkam, ohne Ansehen des Körperteiles, ohne Rücksicht auf Kleidung.
     
    Als ich ihm endlich erklären konnte, wer die küssende Oma war, staunte er.
    „Deine Mama?“ Zu lustig, dass ich ihn so verarschen wollte. Er lachte laut und lange.
    „Meine Mama“, versuchte ich ernst zu bleiben. „Ehrenwort.“
    Er schaute mich an, dann wieder sie – noch lag er in ihrem Arm, verblüffend, wie kräftig sie war – und verfiel in ein endloses, monotones Kichern.
    „Lach du nur", meinte meine Mutter. „Mal sehen, ob du noch lachst, wenn ich dir Schokoladeneis aus der Kühltruhe hole.“
    Das war sein Ding. „Ice Cream?“
    Sie staunte. Ein kluger Junge sei er, und schon so groß.
    „Ice Cream“. Na gut. Sie schienen wirklich auf einer Wellenlänge.
     
    Viel später, als Ricky müde und meine Mutter dem Herztod nahe waren, erzählte ich ihr, dass ich den Kleinen eine Weile bei ihr lassen wollte. Was sie sehr gefasst und kaum überrascht zur Kenntnis nahm. „So lange du willst.“
    „Ein paar Wochen. Höchstens. Dann kann ich wieder nach Hause. Bis dahin hat sich alles geklärt.“
    Sie hatte zwar null Ahnung, was „alles“ war, aber sie wollte es nicht wissen. Kannte mich, die Dame. Auch gut. Ich schrieb auf, was unbedingt zu beachten war, falls ich nicht wieder kommen sollte. Was ich ihr natürlich nicht sagte. Sondern ihr dadurch den Enkel näher erklärte, sozusagen.
     
    Ricky war ganz zufrieden. Wollte nicht viel von mir – der hatte mich jetzt ein paar Tage für sich gehabt, was ihm wohl
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