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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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keinen Hunger, erzählte die Schwester, aber Durst ohne Unterlass.
    »Wie ist die Geburt verlaufen?«
    »Es war eine Steißgeburt, und Elena hat furchtbar gelitten. Dann ist … das Ding … also … die Nabelschnur vor dem Kind ausgetreten. Eine schreckliche Sache.«
    »Besser, ich untersuche sie komplett. Können Sie das Laken anheben, Schwester?«
    Schwester Camilla befolgte die Anweisung, und als sie das Laken hob, war eine enorme Blutlache zwischen Elenas Beinen zu sehen.
    »Decken Sie sie zu, ich habe genug gesehen.«
    Der Arzt entfernte sich und bedeutete Schwester Camilla, ihm zu folgen.
    »Ich fürchte, dass es sich um böse innere Blutungen handelt.«
    »Ist es schlimm?«
    »Ja, sehr schlimm. Sie hat viel Blut verloren, aber das ist nicht das Problem. Es ist gut möglich, dass es zu einer Blutvergiftung kommt. Ich verschreibe ihr ein neues Medikament, aber ich weiß nicht, ob es ausreichen wird. Haben Sie einen Tropf? Ich hänge sie schon mal an eine Zuckerlösung.«
    »Ja, ich gehe ihn holen.«
    Schwester Camilla standen die Tränen in den Augen.
    »Wird sie überleben?«
    Der Arzt schüttelte den Kopf und flüsterte: »Beten Sie, Schwester. Diesmal werde ich es auch tun. Jeder an seinen Gott, vielleicht werden wir ja ein Wunder vollbringen. Denn etwas anderes hilft ihr nicht mehr.«
    Erst in diesem Moment fiel Schwester Camilla ein, dass Carlo Milano Jude war und dass er genau aus diesem Grund nur noch privat praktizierte, denn er war aus dem Krankenhaus entlassen worden.
    »Gut«, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln, »zu zweit schaffen wir es ja vielleicht. Und gehen Sie diesmal bitte nicht, ohne vorher bezahlt worden zu sein.«
    Elena erwachte kurz aus ihrer Benommenheit, und zum ersten Mal nahm sie ihr Kind bewusst wahr, das gierig ihre Milch einsaugte. Als sie in das kleine Gesicht blickte, dankte sie Gott und wusste nun, was zu tun war. Dass sie im Sterben lag, fühlte sie bereits.
    »Camilla, komm’ bitte näher.«
    Ihr Leben hing an einem seidenen Faden. Ihre Augen wanderten von dem Kopf ihres Kindes zu den Zweigen einer Mimose, die, durch den sanften Wind gewiegt, mit ihren weichen gelben Blüten an ihr Fenster zu klopfen schien.
    »Eines Tages werde ich sie beschneiden müssen«, sagte Schwester Camilla.
    »Hör gut zu, Camilla, mir geht es schlecht. Nein, bitte, sag jetzt nichts. Ich glaube nicht, dass ich noch lange am Leben sein werde«, flüsterte Elena. »Ich spüre es, dass es zu Ende geht mit mir. Aber glaube mir, mein einziger Schmerz ist es, dieses Kind zu verlassen. Und dich auch, du Dummerchen… Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Eines möchte ich noch versuchen, und wenn ich es geschafft habe, bin ich mir sicher, dass ich in Ruhe sterben kann.«
    * * *
    Die italienischen Truppen und die Armee von General Franco waren triumphierend in Madrid aufmarschiert, und Italien hatte Albanien besetzt. Nach Italiens Einmarsch war bereits nach weniger als fünf Stunden die italienische Tricolore-Flagge mit dem savoyischen Wappen gehisst worden. Giacomo de Mola las, dass König Vittorio Emanuele die albanische Krone gnädigst angenommen habe. Was für ein gieriger Mann. In seiner Abgeschiedenheit im Konvent des Camaldoli-Ordens hatte sich Giacomo de Mola auferlegt, weder Zeitung zu lesen noch Radio zu hören. An jenem Tage aber hatte er, um sich die Zeit auf der Reise zu vertreiben, alle fünfe gerade sein lassen. Allerdings konnte er zu dem, was er früher gelesen hatte, und wie die Artikel heute geschrieben waren, keinen großen Unterschied feststellen. Höchstens eine kleine Verschlechterung, da nun auch der ehrwürdige Corriere – genau wie das Giornale d’Italia – überaus schwülstige Töne anschlug.
    Er hatte eine besondere Zelle zugeteilt bekommen, nahe dem Abt, der ihm seine Bibliothek zur Verfügung gestellt hatte. Der Camaldoli-Orden existierte seit mehr als tausend Jahren und war ihm geeignet erschienen, um das Buch von Giovanni Pico vor den Augen der Welt zu verbergen. Außerdem stellte das antike Symbol dieses Ortes zwei Vögel dar, die aus einem Kelch tranken. Pelikane oder Phönixe oder Pfauen – und der Gral: Ein deutliches Zeichen für die Präsenz der Templer, die ihm in Erinnerung an seine Urahnen Zufriedenheit und Schutz vermittelten.
    Der Zug hielt am Bahnhof von Pistoia. Zu Fuß begann er den langsamen Aufstieg zum Konvent, in dem er endlich Elena treffen würde. Dieser Anruf hatte ihn sehr verstört. Was wollte diese Frau von ihm? Die Nonne, die am
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