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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Telefon zu ihm gesprochen hatte, war sehr wortkarg und vorsichtig, ja fast ausweichend gewesen. Sie schien jedenfalls zu wissen, was sie tat – offensichtlich war sie jemand, der wusste und es vorzog, zu schweigen. Vor allen Dingen hatte ihn die Möglichkeit, etwas über Giovanni zu erfahren, dazu bewogen, sich vom Camaldoli-Konvent zu entfernen. Vielleicht wusste Elena ja etwas. Und vielleicht stimmte es auch gar nicht, dass es ihr so schlecht ging, wie die Nonne ihn hatte glauben machen wollen.
    Giacomo fühlte sich durch den langen Weg, den er zurückgelegt hatte, gestärkt. Er mochte zwar die unberührte Natur um das Camaldoli-Kloster, hatte jedoch die Aussicht über den unter ihm liegenden Landstrich, der durch kleine lebhafte Häuseransammlungen charakterisiert war, genossen und die schon fast fröhliche Geschäftigkeit der Frauen und Männer, die seinen Weg gekreuzt hatten, geschätzt. War es denn möglich, dass sich diese freundlichen, ironischen und zurückhaltenden Menschen von irgendwelchen Symbolen und dem Krieg in den Tod reißen lassen würden? Sogar der friedfertige Corriere hatte auf der Titelseite eine Menschenmasse abgebildet, die dem Duce zujubelte, wie er den Sieg über Albanien verkündete. Albanien. Die meisten wussten nicht einmal, wo das lag. Der Krieg habe nur zwölf Tote gekostet – hatte die Zeitung triumphierend erwähnt. Und wenn es nur einen einzigen Toten gegeben hätte – es wäre einer zu viel gewesen. Eine Nonne öffnete ihm das Tor.
    »Sie sind?«
    »Ich bin Doktor de Mola, Schwester, und ich wurde für eine Beratung gerufen.«
    »Lassen Sie. Ich war es, die Sie anrief. Kommen Sie, Elena erwartet Sie«, fügte sie leise hinzu. »Sie wartet nur noch auf Sie, damit sie sterben kann.«
    Wortlos trat de Mola in das Zimmer. Das Fenster war nur angelehnt, und in dem Raum konnte er einen sonderbaren Geruch, aus Leben und Tod zugleich, wahrnehmen. Er sah eine Frau, die mit geschlossenen Augen auf dem Bett lag. Sie musste einmal sehr schön gewesen sein, aber nun waren ihre Gesichtszüge zerfallen wie nach einer langen Krankheit. Was er jedoch neben dem Bett vorfand, berührte ihn zutiefst. Neugierig näherte er sich und sah einen Säugling, der in seinem Bettchen strampelte und ihn mit ausdrucksvollen Augen ansah.
    »Nehmen Sie ihn ruhig auf den Arm, er mag es, gestreichelt zu werden«, sagte die Frau auf dem Bett.
    Giacomo tat, wie ihm geheißen. Die Stimme der Frau hatte durch die Krankheit beinahe etwas Kindliches an sich. Er war es nicht gewohnt, einen Säugling in den Armen zu halten, und fühlte sich dabei unbeholfen und etwas verlegen. Er hatte den Eindruck, als würde das Kind fast nichts wiegen.
    »Nehmen Sie ihm bitte sein Häubchen ab und betrachten sie ihn.«
    Überaus vorsichtig tat er, wie ihm geheißen, und ein Schauer lief ihm über seinen Rücken. Er drückte das Kind an seine Brust und schloss die Augen.
    »Ja«, gab Elena kaum hörbar von sich, »ich wusste, dass Sie ihn wiedererkennen würden. Als ich den roten Schopf sah, wusste ich, wer der Vater ist. Und ich wusste auch, dass es Ihnen gefallen würde, Giovannis Sohn kennenzulernen. Ich weiß, wie sehr er mit Ihnen verbunden war und …«
    Elena wurde von einem Hustenanfall geschüttelt und konnte den Satz nicht mehr zu Ende bringen. Giacomo küsste sanft die Stirn des Säuglings und legte ihn in sein Bettchen zurück. Dann näherte er sich dem Bett.
    »Wissen Sie, wo er ist?«
    Seine Stimme war tief und freundlich und verriet keinerlei Groll.
    »Nein, auch ich würde gerne wissen, wo er sich jetzt befindet. Ob er noch lebt und ob er mich hasst, für all das, was ich ihm angetan habe. Und nicht nur ihm.«
    Elena nahm seine Hand.
    »Ich möchte, dass Sie mir etwas versprechen. Ich weiß, Sie sind ein guter Mann – und rechtschaffen. Und ich weiß, dass ich keinen Gefallen verdiene, und ich bezahle gerade bitter für die Schuld, die ich auf mich geladen habe. Der Junge hat mir einen Grund gegeben, um weiterzuleben, und nun hat er es mir genommen. So ist es nur gerecht.«
    »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht.«
    »Das reicht mir nicht!«, sagte sie und versuchte ohne Erfolg, sich aufzurichten.
    »Es ist nicht für mich. Es ist für ihn.«
    »Ich verspreche es. Was es auch sein mag.«
    »Sie müssen Giovanni finden – und wenn er lebt, dann bringen Sie ihm meinen Sohn, unseren Sohn.«
    Giacomo drückte ihre Hand und nickte.
    »Und sollte er tot sein oder nicht auffindbar, dann versprechen Sie mir, dass
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