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911

911

Titel: 911
Autoren: Ulf Poschardt
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»Fahren in seiner schönsten Form« war ein ästhetisches Versprechen und eines, das direkt in der Nachkriegszeit weniger von vordergründiger Nützlichkeit sprechen wollte als vielmehr von einem idealischen Genuss. Porsche wurde für die schwärmerischen Deutschen, aber nicht nur für die, unmittelbar nach seinem ersten öffentlichen Auftreten ein Sehnsuchtsort, eine Marke für Träume in einer Zeit, die eigentlich davon lebte, dem Schrecken der Vergangenheit entkommen zu wollen. Das ging im 356er natürlich auch. Der Porsche-Trick bestand in der Geste der Bescheidenheit und Zurücknahme. »Uns schwebte«, so sollte sich Ferry Porsche in seiner Jubiläumsansprache1974 erinnern, »ein kleines, wendiges, leichtes Fahrzeug vor, das die Leistungen eines großen, leistungsstarken Wagens übertreffen sollte.« Darin verpuppt war auch eine politische Pointe. Auch im Inneren des Ur356ers hätte es spartanischer nicht aussehen können. Leder und Stahl wurden flächig verteilt wie in einem Labor oder einer Klinik. Es war ein kühles, ungemütliches Fahrzeug – sachlich bis zur Übertreibung.
    Geplant waren in aller Bescheidenheit zunächst 50 Exemplare. Die Produktionsbedingungen in Gmünd waren absurd. Ein für die damalige Zeit hochinnovativer Sportwagen wurde zwischen Bergen abseits jeder Infrastruktur produziert. Die Fahrzeuge wurden unter freiem Himmel lackiert und hatten, so behaupten Experten, deswegen unsaubere Stellen. Es war schnell klar, dass die Firma nur dann Bestand haben würde, wenn sie in eine größere Stadt umzog. Zudem drohte dem deutschen Unternehmen in Österreich die Enteignung. Für die Porsches hieß Umzug, ganz selbstverständlich, dass es zurück nach Stuttgart gehen müsse. Da die amerikanischen Besatzungssoldaten die alten Porsche-Hallen in Zuffenhausen in Beschlag genommen hatten, schlüpfte die kleine Sportwagenmanufaktur in der Karosseriefabrik Reutter unter. Die dort gefertigten 356er waren die letzten, die der alte Ferdinand Porsche noch zu sehen bekam. Den ersten hatte er genauestens inspiziert, zuletzt auf einem Hocker vor dem Coupé sitzend. »Die Karosserie muss zurück in die Werkstatt«, erklärte er. »Sie stimmt nicht, sie ist nicht symmetrisch!« Der Alte hatte recht, wie das Ausmessen zeigte, die Karosserie war nach rechts gerutscht, um ganze zwei Zentimeter. Mit diesem Präzisionsinstinkt hatte Porsche sein Leben bestritten, jetzt war es an dem Sohn, dieses Erbe anzunehmen. Das Erbe wurde angetreten,der Ort war wie ein Schwur. Die Führungskräfte arbeiteten von der Privatvilla der Porsches aus, exakt in jenen Räumen, wo die Idee des Volkswagens geboren wurde. Professor Albert Prinzing, der erste Prokurist der Firma Porsche und ein Schulkamerad von Ferry, erinnert sich lachend daran, wie im ehemaligen Zimmer der Köchin auf 18 Quadratmetern die Führungsriege von Porsche zusammengedrängt arbeitete. Die Besprechungen wurden im Hof abgehalten, drinnen war kein Platz.
    1949 entsteht in Gmünd ein Schnappschuss, der viel erzählt und noch mehr vorausahnen lässt. Der alte, milde dreinblickende Übergroßvater Ferdinand hält das Modell eines 356er-Roadsters in der Hand, neben ihm sitzen seine Enkel Butzi und Burli. Der eine wird 13 Jahre später den Elfer entwerfen, der andere dessen Sechszylinder-Boxer veredeln. »Butzi« hieß eigentlich Ferdinand Alexander Porsche und war der Lieblingscousin von Ferdinand Piëch. Gemeinsam nehmen die beiden jungen Männer aus dem Clan die Herausforderung an, dem Genius dieser Familie irgendwie gerecht zu werden. Die Psychologie spricht von der Delegation, die Eltern oft genug unbewusst ihren Kindern übertragen: ein Auftrag, dem Vermächtnis gerecht zu werden, und häufiger noch, zu vollenden, was die Eltern erstrebt hatten, aber nicht zu Ende bringen konnten. »Ich wurde«, so erinnert sich Ferry Porsche, »mit Benzin aufgezogen und bin vom Automobil mein Leben lang nicht mehr weggekommen.« Für Ferry wurde die Fabrik von Austro Daimler zum Spielplatz, mit elf Jahren erhielt er ein Kinderauto mit einem luftgekühlten Zweizylinder-Motor, der sechs PS hatte und für eine Spitzengeschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde gut war. Wenig später nahm er mit seinem Mini-Austro-Daimleran einem Geschicklichkeitsturnier des Wiener Automobilclubs teil und fuhr die schnellste Zeit.
    Anekdoten wie diese gibt es viele in der Familiengeschichte der Porsches und Piëchs. Insofern kann die Geschichte der Porsches als die einer Kettendelegation gelesen und
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