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911

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Titel: 911
Autoren: Ulf Poschardt
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diese Wertschätzung schönen Automobilen, die aufregend klingen und sich anmutig bewegen, versagt geblieben. Es gilt das ökologische Verdikt. Auf der anderen Seite entstehen mit Orten wie dem Meilenwerk oder den Museen der großen Autohersteller Plätze, die eine anspruchsvolle Lektüre des Kulturobjektes Auto vorsehen. Zudem haben Oldtimer-Messen und von Fanclubs arrangierte Treffen den Charakter provisorischer Technikmuseen. Dem Meilenwerk gelingt dabei ein von Museumstheoretikern bestauntes »détournement«. Die eigentlich als Garage konzipierte Unterbringung von Oldtimern auf zwei Ebenen hat eine sich selbst organisierende Wechselausstellung hervorgebracht, deren Kurator ein Quartiermeister ist. Die Besitzer der Oldtimer achten darauf, dass ihre Fahrzeuge stets die Qualität eines Museumsexponats haben, und den Autoverliebten werden die zum Teil sehr raren Stücke ohne jede pädagogische Unterführung in ihrem puren Sein präsentiert. Nirgendwo werden Artefakte freier assoziiert einem denkbar heterogenen Publikum vorgestellt.
    Elfer-Freunde sind materialistische Wertkonservative. Werte sind für sie nichts Abstraktes, sondern konkrete Poesie. Werte entstehen im Gebrauch. Der Elfer als wertiges Auto hat einen Hang zur Klarheit und Transparenz, der dem politischen Konservatismus fehlt. Wie der idealistische Konservative versteht sich der materialistische Konservative als Gegenpol zu Indifferenz und Beliebigkeit. Gegen die Schnelllebigkeit der Trends strebt die Suche nach etwas, das bleibt,zum Klassischen. Die Verachtung, mit der Ferdinand Alexander Porsche das Wort »Mode« aussprach, grundiert auch die Skepsis der Elfer-Gemeinde gegenüber allzu weitreichenden Verneigungen vor dem Zeitgeist. Gegen die Revolution, die kleine modische wie die große gesellschaftliche, setzt der materialistisch Wertkonservative auf die Evolution.
    Die Empfindlichkeit der Elfer-Freunde, die in diesem Buch hinlänglich und mitsamt ihren neurotischen Befürchtungen beschrieben wurden, sensibilisierte über enge Feedback-Schleifen die Porsche-Manager und -Ingenieure für die Wünsche und Ängste ihrer Kunden. In prädigitalen Zeiten befanden sich die Porsche-Chefs in einem konstanten Chat mit ihren Kunden. Über die intensive Kundenbetreuung und die aktive Begleitung der Porsche-Clubs war der Porsche-Fahrer und Kunde stets die Ur-Referenz für die Weiterentwicklung des Produktes. Mit dem Anwachsen der Produktionszahlen wurde der direkte Kontakt zur erweiterten Familie immer schwieriger, umso wichtiger blieb für Porsche mit Clubsport-Veranstaltungen und Clubkultur die Begegnung mit jenen, für die Porsche mehr war als ein Konsumgut, eher eine Erweiterung des Selbst. Der amerikanische Porsche-Club hat über 100.000 Mitglieder, das ist ein Weltrekord, den er mit dem Harley-Davidson-Club teilt. Harley-Davidson wie Porsche sind für eine freiheitswie mobilitätsverliebte Nation wie die USA Kultobjekte. Dass ausgerechnet ein deutsches Auto den Amerikanern mit einer rollenden und röhrenden Freiheitsstatue auf die Sprünge helfen kann, mutet nüchtern betrachtet wie eine Ironie der Geschichte an. Für die Amerikaner ist der Elfer ein sehr deutsches Auto. In den unzähligen Interviews mit Porsche-Club-Mitgliedern taucht diese Zuschreibung als »something German« wie eine exotische Geheimformel fürPräzision und Athletik auf. Im Porsche erinnern sich viele Amerikaner auch ihrer europäischen Wurzeln – und träumen einen anderen amerikanischen Traum, als ihn die großhubigen Corvettes, Mustangs oder Dodge Charges erzählen.
    Es gibt keinen typischen Elfer-Fahrer. Sie sind geeint in ihrem Spleen. »Es ist einfach wunderbar, im Leben etwas zu finden, was man liebt«, erklärt Jerry Seinfeld und kann sich nicht festlegen, welchen seiner Porsches er am meisten liebt. »Eigentlich ist mein Lieblings-Porsche immer der, in dem ich gerade sitze.« Bei Seinfeld sind deswegen stets alle Exponate fahrbereit, auch sein 1949er Gmünd-Ur-Porsche. Der Traditionalismus der Elfer-Freunde ließe sich auch romantisch begründen. Alles, was man liebt, soll so bleiben, wie es war in jenem Moment, als sich der Liebende in es verliebte. Die Treue zum Objekt der Verehrung korrespondiert mit der Permanenz des Objektes. Liebe, die bleibt, braucht ein Gegenüber, das bleibt.
    Was ist das für ein Auto, das vernünftige Menschen auch nach Jahren und Jahrzehnten abends kaum einschlafen lässt aus Vorfreude, es am nächsten Morgen aufzusperren, die Tür mit dem
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