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911

911

Titel: 911
Autoren: Ulf Poschardt
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verstanden werden. Ferdinand übertrug an Ferry und Ferry an Ferdinand Alexander. Ähnlich geschah dies bei Ferdinand Piëch. Die Anerkennung des Vaters, notierte die eingeheiratete Susanne Porsche in ihrer opulenten Hommage »Ferrytales«, war allen Söhnen sehr wichtig, »wenngleich diese häufig nur still gezeigt wurde und für die Söhne auch manchmal schwer erkennbar war«.
    Als die Porsches nach Stuttgart umziehen, kehrt Ferdinand Alexander an jenen Ort zurück, an dem er 1935 geboren wurde – als erster Sohn von Ferry Porsche und seiner großen, einzigen Liebe Dodo: in die Villa am Feuerbacher Weg. Die ganze Familie lebte damals noch unter einem Dach und funktionierte deswegen wie eine Art genetisch verwobenes Exzellenzcluster, in dem das Wissen über den Automobilbau vom morgendlichen Frühstück bis zum abendlichen Kamingespräch den Alltag wie selbstverständlich dominierte. Wenn Augustinus recht hat und das Leben der Eltern das Buch ist, in dem die Kinder lesen, dann war beim Porsche-Nachwuchs die Fokussierung auf Ideen und Ziele der Eltern und Großeltern unausweichlich. Die Weiterentwicklung des Porsche 356 war demnach neben der wirtschaftlichen Notwendigkeit auch eine verinnerlichte Mission der beiden Heranwachsenden. Wohl nur deshalb konnten sowohl F. A. Porsche als auch Ferdinand Piëch in derart jungen Jahren in der Entwicklung des Elfers einen so entscheidenden Einfluss bekommen. Die Ausbildung und Befähigung dazu erhielten sie von Kindesbeinen an.

Emanzipation, Aufruhr und Noblesse: die Welt der Porsche-Fahrer
    Am Anfang war Porsche eine Sache von ganz wenigen. Porsche-Fahrer zu sein war demnach etwas vollkommen anderes als heute, Anfang des 21. Jahrhunderts. Wer den Mythos Porsche verstehen will, muss wissen, wer dessen erste Anhänger und Propagandisten waren. Es waren Selfmade-Wohlhabende und in Reichtum Geborene, die aber allesamt vom Leben etwas wollten, was zu diesem Zeitpunkt selbst geschaffen werden musste. Es waren Unruhegeister, Aktivisten, Getriebene, Macher, Abenteurer, Weltveränderer, Genießer, Connaisseurs. Geschwindigkeitsverliebte. Individualisten.
    Die von Krieg und Zerstörung verschonte Schweiz wurde zum Pioniermarkt von Porsche. Den ersten Serien-356er kaufte Jolanda Tschudi, eine denkbar weit vom Mutterkreuz emanzipierte Frau, die als Segelfliegerin Rekorde aufstellte und als Kopilotin abenteuerliche Afrika-Expeditionenerlebte, inklusive sieben bedrohlicher Notlandungen. Der drahtige, kleine Sportwagen sprach Individualisten an, die für eine Souveränitätsgeste keine barocken Dimensionen benötigten. Frauen waren von Anfang an dabei. Der Porsche wurde auch zur Emanzipationsfortbewegung genutzt. Die Zierlichkeit des Porsche kam ohne Machismen aus. Es waren sportliche, selbstbewusste, zum Teil tomboyliche Damen mit einer aufreizenden Natürlichkeit, die ihre eigene Rolle nicht von der Gesellschaft definiert wissen wollten, sondern von sich selbst. Sie waren in jeder Hinsicht unabhängig, natürlich auch finanziell. Als Draufgängerinnen und Hasardeusen traten sie bei Autorennen an und besiegten oft genug Männer, die mit dieser Schmach damals ähnlich schlecht umgingen, wie es ihre Geschlechtsgenossen auch 70 Jahre danach noch tun.
    Gilberte Thirion hatte ein Model als Mutter und einen rennsportvernarrten Industriellen als Vater. Bei ihren ersten Rennversuchen in einem Porsche 356 SL saß ihr Vater auf dem Beifahrersitz und assistierte seiner mutigen Tochter. Das war Anfang der 50er Jahre für einen erfolgreichen Geschäftsmann eine durchaus unübliche Rollenverteilung, die aber gut in das Bild jener privilegiert liberalen Milieus passte, in denen Porsche seine ersten und zunehmend treuen Kunden fand. Thirion arbeitete als PR-Frau für Champion-Zündkerzen und überraschte Journalisten mit einer Sachkenntnis, die damals eher frauenuntypisch war. 1953 verunglückte sie bei einem Rennen in Frankreich schwer, lag über einen Monat im Krankenhaus und musste danach noch einen Monat im Bett bleiben, doch ihre Leidenschaft zur Raserei war damit nicht kuriert. Wie viele Motorsportler dieser Zeit fuhr Thirion nicht nur Straßenrennen, sondern auch Rallyes. Im Jahr 1954 teilte sie sich mit Annie Bousquet,geborene Schaffer, einen Gordini Roadster für eine Rennsaison. Die gebürtige Wienerin hatte noch etwas Wüsteres an und in sich als ihre Freundin. Ihren französischen Mann lernte sie kennen, als dieser Häftling in Österreich war, und für den Rennsport begann sie sich zu
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