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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
Autoren: Karl May
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danken, und sich alle Müh geben, ein guter Mensch zu sein.“
    „Oh, es ist nicht nur die Stimm allein; es ist auch die unvergleichliche Begabung für die Technik des Gesangs. Tausend andere, wann's auch diese Stimm hätten, würden es im ganzen Leben nicht so weit bringen, dieses Fannylied richtig zu singen. Unser Herrgott hat dem Anton alles in den Schoß worfen, was er zum Meister braucht. Ich kann dir aufrichtig sagen, daß meine Stimm wohl noch schöner ist als die seinige, so weit man einen Sopranen mit einem Tenoren vergleichen darf; aber das andre besitz ich nicht in solchem Grad. Er braucht nur zu wollen, so kommt's bei ihm geflogen; das hört man ihm an. Ich aber hab manchen Tag und manche Nacht über einer einzigen, schweren Stelle üben müssen. Und darum hat auch das, was ich erreich, einen so großen Wert für mich. Er hat's umsonst; darum wirft er's weg. Ich muß es mit teurer Müh bezahlen; darum halt ich's fest und heilig. Das ist der Unterschied zwischen mir und ihm. Sein Talent macht ihn hochmütig; mich aber macht das meinige streng gegen mich selbst. Wollen sehen, wer glücklicher sein wird, er oder ich.“
    „Du, mein gutes, braves Herzerl, du!“ sagte der Sepp gerührt, indem er sie mit väterlicher Zärtlichkeit an sich drückte.
    Diese beiden braven Menschen verstanden sich so gut, weil sie ohne Falsch und ohne Flecken waren. Ihre Blicke leuchteten sich so warm und innig entgegen, daß – daß der Graf hätte eifersüchtig werden können. Er hatte sich nach Leni umsehen wollen und stand nun unter der Tür. Da war er absichtslos Zeuge der Umarmung.
    Es gab ihm einen Stich durch das Herz. Dieses herrliche Mädchen lag so vertrauensvoll in den Armen des Alten. Aber, wunderbar! Dieser Stich verursachte ihm keine Schmerzen. Er gönnte dem Hauptmann dieses Glück, denn er hatte ihn liebgewonnen. Aber doch stieg es in seinem Herzen wie eine Art von Eifersucht auf, und es trat ihm plötzlich hell und klar die Gewißheit vor seine Seele, daß die Sängerin das einzige, das allereinzige Wesen sei, welches er mit seinen Armen, seinem ganzen Herzen und Leben umschlingen könne.
    Da erblickte ihn Leni. Sie wand sich erglühend aus Sepps Armen. Dieser aber trat auf den Grafen zu, reichte ihm die Hand und sagte:
    „Verzeihen Sie, daß wir hier in der Fremde uns vielleicht allzusehr an unsere heimatlichen Verhältnisse erinnern. Wenn dieselben Ihnen bekannt wären, so würden sie es begreifen, daß wir beide so gern und fest zusammenhalten.“
    Der Graf drückte die ihm dargebotene Hand.
    „Bitte, es bedarf keiner Entschuldigung. Sie hatten sich lange Zeit nicht gesehen; Sie trafen sich hier unerwartet; die Rechte der Herzen sind heilig. Ich klage mich schwer an, Sie gestört zu haben.“
    Sie kehrten nach dem Musiksaal zurück, welchen Anton längst wieder verlassen hatte. Die Kapelle begann eben einen neuen Vortrag. Die Angehörigen derselben wußten auch nicht, welche der anwesenden Damen eigentlich die Ubertinka sei, denn sie hatten sich auch nach jedem Vortrag wieder in das Musikantenzimmer zurückzuziehen.
    Nach ihnen traten, da die bisherige Reihenfolge beibehalten wurde, der Pianist und Violinist wieder auf, und sodann richteten sich die Blicke erwartungsvoll verstohlen wieder auf Leni.
    „Man scheint zu wünschen –“, wollte der Graf sagen, welcher bei ihr stand.
    „Ich bin an der Reihe“, lächelte sie, „und darf keine Unordnung aufkommen lassen.“
    „Also wollen Sie?“
    „Freilich.“
    „Den Abendregen?“
    Er sagte das Wort mit besonderer Betonung, als Nachklang ihrer Unterhaltung draußen im Augarten. Sie nickte zustimmend, und er geleitete sie an das Instrument.
    Schon der Einleitung war anzuhören, daß man jetzt ein ganz eigenartiges Musikstück zu hören bekommen werde. Die Töne perlten leise, leise und heimlich, wie Regentropfen, welche an das Fenster klingen und eigentümlich melodisch auf die Schiefer und Ziegeln des Daches schlagen.
    Ebenso heimlich, melodiös tröpfelnd erklangen die Töne von Lenis Lippen:
    „Horch, was klopft auf Busch und Baum?
Fenster auf, zu lauschen!
Hör ich durch den Gartenraum
Engelsflügel rauschen?
Nein, aus dunkler Wolke fließt.
Leiser, linder Segen;
Sieh, wie sanft es niedergießt!
Sei uns tausendmal gegrüßt,
Süßer Abendregen!“
    Es war für den Komponisten eine sehr schwierige Aufgabe gewesen, dieses herrliche Lied Geroks in Musik zu setzen. Die Begleitung hatte den niedertröpfelnden, leisen Abendregen zu malen. Aber die
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