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69

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Titel: 69
Autoren: Ryu Murakami
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fallen oder galoppierte so plötzlich los, dass Lady Jane von den Füßen gerissen wurde. Schließlich brach das Tier aus, und Adama jagte ungefähr fünfhundert Meter hinter ihm her.
    Wir saßen am Flussufer und aßen unser Picknick. Es gab Reisbällchen, eingelegtes Gemüse, Eibrötchen, gebratenes Huhn und Blumenkohl und sogar Birnen zum Dessert. Während die Vögel in den Bäumen zwitscherten und tschilpten, spielte Iwase auf der Gitarre, und wir alle sangen April Come She Will von Simon and Garfunkel.

    Eines Tages, als es nur noch eine Woche bis zum Festival war, fanden Lady Jane und ich eine Gelegenheit, allein zu sein. Coelacanth wollten während ihres Auftritts eine Diashow im Hintergrund haben, und ich hatte beschlossen, dass ein paar Fotos von ihr genau das Richtige wären.
    Wir trafen uns im Boulevard und tranken eine wehmütige Tasse englischen Tees und machten uns dann auf den Weg zur amerikanischen Militärbasis. Man konnte das Gelände nicht betreten, aber es gab eine Menge pittoresker Gebäude in der Nähe, von denen ich dachte, dass sie einen guten Hintergrund liefern würden: ein cremefarbenes Kino, das wie ein griechischer Tempel aussah, die Offiziersquartiere mit ihren efeubewachsenen Mauern, ein Micky-Maus-Glockenturm, eine Kirche, deren Kirchturm pink und blau angestrichen war, ein wundervoll gepflegter Baseball-Platz, eine Straße mit Kopfsteinpflaster, auf der die Leute ihre Collies spazieren führten, eine Straße, die von Platanen gesäumt war, deren fallende Blätter im Wind tanzten, eine Reihe von Lagerhäusern aus roten Backsteinen ...
    »Ist der Film fertig?«, fragte Lady Jane, lächelte in die Kamera und strich sich mit langen, feingliedrigen Fingern das Haar zurück.
    »Alles, bis auf das Schneiden.«
    »Sehe ich komisch aus?«
    »Nein, du siehst fantastisch aus.«
    »Hast du den Teil mit der Ziege drin gelassen?«
    »Nein, die Ziege ist draußen. Die Symbolik ist völlig falsch.«
    Sie schlug vor, an den Strand zu gehen, sobald es Winter wurde.
    »Winter? Dann wird es doch kalt.«
    »Ich weiß. Aber ich habe das Meer bis jetzt noch nie im Winter gesehen.«
    Ich stellte mir vor, wie wir uns im kalten Wind aneinander klammerten, und mein Herz begann zu trommeln.
    Stunden vergingen, ohne dass ich gemerkt hätte, wie die Zeit verrann, und plötzlich leuchtete der Himmel im blassen Purpur des Sonnenuntergangs.
    »Ich liebe diese Tageszeit«, sagte sie und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, während wir uns auf den Heimweg machten. Ich bemühte mich, nicht auf ihren Schatten zu treten. »Es ist so schnell vorbei, und dann ist es Nacht. Aber es ist so hübsch. Ich frage mich, ob es mit dem, was ich fühle, dasselbe ist - ob es sich so plötzlich ändern wird.«
    »Was du fühlst?«
    »Ach komm, sei nicht so gemein. Ich habe dir gesagt, was ich fühle, indem ich dir die Rosen geschickt habe.«
    Ich hielt an und stellte die Entfernung an der Kamera ein. »Ich« , sagte ich und drückte auf den Auslöser. »Liebe« , sagte ich und drückte wieder auf den Auslöser. »Dich« , sagte ich. Lady Jane lächelte schüchtern. Es war das Lächeln aller Lächeln, aber es ging in der zunehmenden Dunkelheit verloren und war auf den Abzügen nicht zu sehen.

VELVET UNDERGROUND
    »Hühner?« , sagte Adama, lauter als es unbedingt nötig gewesen wäre. Es war Mittagszeit, vier Tage vor dem Morgenlatten-Festival.
    Fast alle unsere Vorbereitungen waren abgeschlossen. Dank Ann-Margrets übertriebener und weinerlicher Art der Darstellung und Pater Saburos Einmischung war Jenseits der blutroten See der Negativität und Rebellion meilenweit von dem entfernt, was ich mir eigentlich vorgestellt hatte, aber wir waren mit den Proben fertig und konnten loslegen. Ich hatte auch die Schneidearbeiten am Film abgeschlossen, und wir hatten einen Projektor und die ganzen Musikinstrumente und Verstärker und Mikros organisiert.
    »Hühner?«, sagte er wieder.
    »Ja, ich hätte gerne ungefähr zwanzig, aber acht oder so würden auch reichen. Weißt du, wo wir welche kaufen können?«
    »Metzgerei, schätze ich, aber wer soll denn acht ganze Hühner essen?« Er dachte offenbar, dass ich sie für eine Party danach haben wollte.
    »Du hast das ganz falsch verstanden. Ich will lebende Hühner.«
    »Wofür zum Teufel? Erzähl mir nicht, du willst ihnen die Hälse umdrehen, sie in Stücke reißen und ihr Blut auf der Bühne schlürfen?«
    Ich zeigte ihm ein Foto, dass ich aus Kunst heute ausgerissen hatte. Es war bei
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