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66095: Thriller (German Edition)

66095: Thriller (German Edition)

Titel: 66095: Thriller (German Edition)
Autoren: Mark T. Sullivan
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legte das Lesezeichen ein und klappte das Buch zu.
    »Können wir nicht wenigstens noch eine Seite lesen?«, bat Cricket. Sie hatte es sich auf ihrem Kissen gemütlich gemacht und trug ihr blaues, ausgewaschenes Lieblingsnachthemd. »Sie und Duane tun mir so Leid.«
    »Es ist schon spät, und du wolltest doch morgen den Vierhundertmeterlauf anschauen.«
    »Nächstes Jahr werde ich in der Endrunde sein«, sagte Cricket selbstsicher. »Koste es, was es wolle.«
    Whitney lächelte über die Zuversicht ihrer Tochter. »Wie geht’s mit dem Knie?«
    Cricket hob das Bein, das vom Fußgelenk bis zur Schienbeinmitte und vom Knie bis zur Oberschenkelmitte mit allmählich verblassenden roten Narben überzogen war. Sie ließ den Fuß kreisen, beugte und streckte das Knie. »Der Arzt meint, in einem Monat kann ich wieder sprinten.«
    Whitney stand auf und stellte das Buch, Jim Harrisons Dalva, ins Regal neben Crickets Siegestrophäen aus ihren Leichtathletikwettkämpfen. Diesen Roman über eine Frau, die sich nach einem schweren Schicksalsschlag selbst verliert und mit Hilfe ihrer Familie schließlich wieder findet, hatte Whitney während ihres Krankenhausaufenthalts gelesen und ihn Cricket empfohlen.
    Sie wusste, wie ungewöhnlich es war, dass eine Mutter ihrer fünfzehnjährigen Tochter laut vorliest, aber seit ihren traumatischen Erlebnissen in der Labyrinthhöhle, die jetzt genau ein Jahr zurücklagen, hatte sie ihr jeden Abend vorgelesen. Auch Whitneys Mutter hatte ihrer Tochter jeden Abend vor dem Schlafengehen etwas vorgelesen – bis eine Woche vor ihrem Tod. Und wenn Whitney jetzt Cricket vorlas, hatte sie das Gefühl, ein Glied in einer langen unsichtbaren Kette zu sein, die sich durch Zeit und Raum erstreckte und ihrem Leben Struktur und Kohärenz verlieh. Auch war sie überzeugt, dass die Zeit, die sie und Cricket vor dem Einschlafen mit Lesen und Gesprächen verbrachten, das Fundament für eine Beziehung legte, die sie in den dreizehn Monaten nach Jeannie Yungs Tod sträflich vernachlässigt hatte.
    Whitney deckte ihre Tochter zu und küsste sie sanft auf die Wange. »Schlaf gut«, sagte sie. »Ich hab dich lieb.«
    »Ich dich auch, Mom.«
    Whitney blieb an der Tür stehen und drehte sich noch einmal um. Aus Cricket war eine junge Frau geworden, und bei diesem Gedanken wurde Whitney von Wehmut ergriffen. Aber wie ihre Tochter jetzt so dalag, bis zum Hals unter der Decke, eine Strähne ihres rotblonden Haars über den Augen, hätte Cricket ebenso gut drei Jahre alt sein können, ausgestreckt auf einer mit Gänseblümchen übersäten Wiese.
    Whitney ging die Treppe hinunter, vorbei an einer gerahmten Fotografie, die sie mit Jeannie Yung zeigte. Das Leben, sinnierte sie, war manchmal wie eine Höhle, eine gewundene, komplizierte Abfolge von Verzweigungen, die zu immer tiefer gelegenen Orten führten, wo es dunkler war, als man es sich vorstellen konnte – in eine Unterwelt, in der man die Schatten befragen musste, um herauszufinden, was real und wahr war. Diese schwierigen Passagen konnte man nur mit dem Glauben an etwas überwinden, das größer war als man selbst. Nur so konnte es gelingen, wieder zum Sonnenlicht vorzudringen.
    Sie hatte ihren Kummer und ihre Schuldgefühle über Jeannies Tod überwunden. Aber jeden Abend vor dem Einschlafen dankte sie ihrer lieben Freundin dafür, dass sie ihre Familie während ihres langen Albtraums und ihrer Genesung beschützt hatte.
    Wie alle, die die Schamanenkatakombe betreten hatten, hatte auch Whitney eine kurze, aber starke Strahlendosis beim Zerfall der Quark-Teilchen abbekommen und war eine Zeit lang krank gewesen. Sie stand zwar weiterhin unter Aufsicht eines von der Regierung bestellten Ärzteteams, aber im Augenblick strotzte sie geradezu vor körperlicher und geistiger Gesundheit. Sie hatte darum gebeten, von ihrem Lehrauftrag an der Universität kurzzeitig beurlaubt zu werden, um mehr Zeit für Cricket zu haben. Ihre Tochter würde nicht mehr lange zu Hause wohnen, und Whitney wollte so viel Zeit wie möglich mit ihr verbringen.
    Whitney verweilte einen Augenblick vor dem Foto, dann ging sie durch das Wohnzimmer zu Tom, der auf die Computertastatur einhackte. Auf dem Schreibtisch neben ihm lag die Karte, die sie am Tag zuvor von Damian und Natalie Finnerty anlässlich der Geburt ihrer Tochter bekommen hatten; zur Erinnerung an Two-Elk hatten sie ihr den Namen Lydia gegeben.
    Whitney lächelte, schlang die Arme um Toms Hals und küsste ihn auf die Wange. »Wie
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