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65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

Titel: 65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
Autoren: Karl May
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Es werde sich ein nicht ganz unbedeutendes Wundfieber einstellen; das sei aber auch alles.
    Der Patient versank in Schlaf, und dann trat Hilda herein, um an seinem Lager zu wachen.
    Als sie so allein bei ihm saß, kamen und gingen ihr allerlei Gedanken. Sie hielt den Blick auf sein Gesicht gerichtet und gab sich keine Rechenschaft darüber, daß sie dieses unschöne Gesicht immer und immer wieder ansehen mußte. So verging die Nacht in lautloser Stille. Im Morgengrauen bewegte sich der Leutnant. Er öffnete die Augen, er sah sie. Er blickte sie an, als ob er sich erst besinnen müsse; dann sagte er:
    „Fräulein Holm? Sind Sie wirklich da? Oder träume ich noch?“
    „Es ist Wirklichkeit“, lächelte sie.
    „Wie herrlich! Ich träumte nämlich, Sie wären – ah, ich schulde Ihnen sehr großen Dank. Welch ein Opfer von Ihnen! Sie bedürfen doch selbst des Schlafs.“
    „Oh, ich könnte nicht schlafen, ganz unmöglich.“
    „Warum nicht? Sagen Sie es, bitte, sagen Sie es mir!“
    Sie errötete; aber sie antwortete offen und ehrlich:
    „Weil ich Angst habe; ich sorge mich um Sie.“
    „Sie sorgen sich um mich? Herrgott! Sie wissen doch, Fräulein Holm, daß ich von meinen Kameraden der Kranich genannt werde?“
    „Ja. Man hat freilich keine schöne Bezeichnung gewählt.“
    „Es war doch immer noch die beste für so einen Ausbund von Häßlichkeit, wie ich bin.“
    „Häßlich? Das finde ich nicht.“
    „Nicht? O bitte, sehen Sie mich doch an!“
    „Das habe ich schon oft getan. Ein Mann darf unschön sein, eine Frau aber nicht. Und die Schönheit zeigt sich ja nicht nur in den Zügen. Wer ein gutes Gemüt hat, der kann nicht häßlich sein.“
    „Wirklich? Oh, dann bin auch ich nicht häßlich; da bin ich sogar der schönste Kerl, den es nur geben kann. Ich sage Ihnen, ich habe ein Gemüt, ein Gemüt wie eine überreife Pflaume; sie fällt sogleich vom Baum, wenn man nur ein ganz klein wenig schüttelt.“
    „Sie bedienen sich höchst trefflicher Vergleiche“, lachte sie.
    „Ja. In Ihrer Nähe werde ich geistreich; das ist wahr.“
    Er sah ganz glücklich aus, und dieses Glück verschönte seine bleichen Züge mehr, als man hätte glauben sollen. Er lag lange, lange still lächelnd und mit geschlossenen Augen da. Er wußte wohl selbst gar nicht, daß er immer leise flüsterte:
    „Sie sorgt sich um mich – oh, um mich, um mich!“
    Er schlief wieder ein.
    Gegen Morgen kam der Arzt. Er war unterdessen auf Schloß Grünbach und in dem Turm gewesen. Er schickte Hilda fort, in das Zimmer, welches ihr angewiesen worden war, und untersuchte die Wunde zum zweiten Mal. Dann hielt er es für notwendig, den Vater Hagenaus wecken zu lassen. Er begab sich zu ihm, um ihn vorzubereiten und ihm alles zu erzählen. Dann entfernte er sich.
    Natürlich suchte dann der Vater den Sohn auf. Dieser ergänzte den Bericht des Arztes, wo derselbe lückenhaft war, und versicherte, daß er sich verhältnismäßig ganz wohl fühle.
    „Welch ein Ereignis!“ sagte der Vater. „Jetzt müssen wir freilich verzichten!“
    „Auf was?“
    „Nun, du kennst doch meine Absichten in bezug auf den Tannensteiner und seine Tochter.“
    „Vater, danken wir Gott, daß mir dieses Frauenzimmer nicht gefallen hat. Dieses Volk hat selbst kein Geld. Nun ist er tot, die Dame aber mag im Zuchthaus die Schloßherrin spielen.“
    „Beide haben es verdient. Und doch – doch – ah, ich erwarte heute wieder einen Wechsel! Mach, daß du bald gesund wirst. Es ist wirklich wahr, es ist nicht anders: Nur eine reiche Heirat kann uns retten.“
    „Ich heirate nicht oder arm, sehr arm.“
    „Du scherzt!“
    „Nein. Ich sage dir aufrichtig, daß ich gewählt habe. Ich liebe, ich liebe wahr und innig, und ich glaube, daß ich wiedergeliebt werde.“
    „Du? Wiedergeliebt?“ fragte der Vater ungläubig.
    „Ja. Das ist es ja eben, was mich so unendlich glücklich macht. Denke dir: Der Kranich wird geliebt!“
    „Na, möglich ist ja vieles!“
    „Ja. Sie sorgt sich um mich. Denke dir! Sie ist besorgt um mich – oh, oh!“
    „Wer denn?“
    „Nun sie, diejenige!“
    „Darf man denn nicht ihren Namen hören?“
    „O doch. Sie heißt Holm.“
    „Also nicht von Adel?“
    „Sehr sogar, sehr! Sie ist durch und durch adelig, obgleich sie kein ‚von‘ vor ihrem Namen trägt.“
    „Du meinst also Herzensadel, Gesinnungsadel?“
    „Ja.“
    „Hm! Mein lieber Junge, du kennst mich. Ich bin ein sehr nüchterner Charakter und
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