Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
lockige Bedeckung seines Hauptes verloren hatte. Er sah sie aus dem Topf hervorragen.
    „O du heiliges Pech!“ rief er aus. „Die ist hin!“
    „O nein“, lachte die Tänzerin, „sie ist nur mit der nötigen Farbenpracht versehen worden!“
    „Und meine Hose, meine Weste, mein Jackett!“
    „Wie ich bereits sagte: der reine Stieglitz!“
    „Na, Sie sehen auch nicht anders aus!“
    Jetzt erst betrachtete sie sich selbst auch. Das Haar hing ihr wirr und mit Farben beklebt vom Kopf. Ihr Kleid war zerrissen und beschmiert. Dennoch aber fiel es ihr nicht ein, ihr Gelächter zu mäßigen. Sie fuhr vielmehr fort:
    „Herrlich! Prächtig! Welch ein Abenteuer!“
    „Danke schön!“
    „Wie ist denn das gekommen?“ fragte seine Frau.
    „Ein Mißverständnis!“ erklärte die Leda.
    „Mißverständnis?“ sagte er. „Das glauben Sie doch wohl selbst nicht?“
    „Warum nicht? Ich hielt Sie für – ah, wo ist sie denn eigentlich?“
    „Wer denn?“ fragte die Ballettmeisterin.
    „Die Näherin.“
    Sie sahen sich um. Die Amerikanerin aber saß mit Hilda so, daß man sie beide wegen der zweiten Staffelei und einem breiten Vorhang nicht sehen konnte.
    „Sie ist fort!“ sagte er.
    „Entflohen!“ nickte die Tänzerin.
    „Sie wird mit der Starton gegangen sein“, bemerkte die Frau des Herrn Arthur.
    „Starton?“ fragte die Leda aufhorchend.
    „Ja, mit der Starton.“
    „Meinen Sie etwa die amerikanische Tänzerin?“
    „Ja.“
    „Mit dieser soll sie gegangen sein?“
    „Ich vermute es.“
    „War denn die Amerikanerin da?“
    „Freilich. Sie wollte mit meinem Mann sprechen.“
    „Und wo befand sie sich?“
    „Hier im Zimmer. Ich nahm sie mit her, um sie anzumelden.“
    „Himmel! Hier im Zimmer? So hat sie wohl auch gesehen, was da vorgekommen ist?“
    „Natürlich. Sie trat mit mir zugleich ein.“
    „Na, das haben Sie schön gemacht, sehr schön! Welch eine Blamage! Sie wird nun überall davon erzählen. Hat sie denn alles, alles gesehen?“
    „Das weiß ich nicht. Sie wird sich aber vermutlich gleich entfernt haben.“
    „Hoffentlich kennt sie mich nicht!“
    „Ich habe ihr leider gesagt, daß Sie sich bei meinem Mann befinden und daß sie also Gelegenheit finden werde, Sie kennenzulernen.“
    Da stieß die Tänzerin von neuem ein schallendes Gelächter aus.
    „O weh! O weh!“ rief sie dabei. „Da hat sie mich allerdings sogleich von einer höchst interessanten Seite kennengelernt!“
    „Vermutlich hat sie aber nicht gedacht, daß Sie es waren, die sich da in den Farben wälzte.“
    „Sie wird es aber sicher erfahren.“
    „Von wem denn?“
    „Von der Näherin, die sich mit ihr entfernt hat.“
    „Sie irren!“ ertönte es da von der anderen Seite des Zimmers her.
    Ellen war von ihrem Sitz aufgestanden und näherte sich ihnen.
    „Sie sind noch da?“ fragte die Ballettmeisterin in höchsten Grad erschrocken.
    „Wie Sie sehen!“
    „Ich glaubte, Sie seien fort!“
    „Konnte ich gehen? Sie versprachen, mich dem Herrn Ballettmeister anzumelden. Es wäre jedenfalls eine große Verletzung aller Anstandsformen meinerseits gewesen, wenn ich mich entfernt hätte.“
    Sie stand hoch, ernst und stolz vor den drei mit Farben beklebten Personen.
    „Bitte, gnädige Frau, wollen Sie mich den Herrschaften vorstellen?“ sagte sie.
    Die Frau antwortete:
    „Ihren Namen habe ich bereits genannt – mein Mann, der Herr Ballettmeister und Kunstmaler – Mademoiselle Leda, von welcher ich zu Ihnen sprach.“
    Sie ließ eine leichte Verbeugung sehen und sagte:
    „Sie verzeihen, daß ich störte!“
    „O bitte“, meinte der Ballettmeister. „Ein kleines Potpourri, wie es zuweilen unter Künstlern vorkommt!“
    „Jedenfalls eine Probe zu einem Ballett?“
    „O nein. Nur ein kleines Mißverständnis, weiter nichts.“
    „Ich glaube nicht!“
    Diese drei Worte waren in einem so ernsten Ton gesprochen, daß der Maler sich davon überrascht fühlte.
    „Wie meinen Sie das?“ fragte er.
    „Ich glaube, gehört zu haben, daß es sich mehr als um ein kleines Mißverständnis handle.“
    „Ah! Eine Täuschung!“
    „Sollte es wirklich ein Mißverständnis genannt werden können, wenn man ein braves, unschuldiges Mädchen zwingen will, Modell zu sitzen?“
    „Zwingen?“
    „Ich vermute das.“
    Der Ballettmeister sah sich im Zimmer um. Hilda stand noch hinter der Staffelei. Er konnte sie nicht sehen. Er dachte, daß sie entflohen sei, und das gab ihm den Mut zu der Antwort:
    „Sie irren sehr. Von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher