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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
Autoren: Karl May
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Antwort.
    „Gustel!“ wiederholte sie nach einer Weile, und zwar lauter.
    Ihr Ruf hatte ganz denselben Erfolg, nämlich keinen.
    „Beyers Gustel!“ rief sie zum dritten Mal. „Schläfst du denn gar so tief?“
    Da regte es sich drüben, und eine leise Stimme fragte:
    „Wer bist du denn?“
    „Kennst du mich nicht?“
    „Nein.“
    „Es war ja Licht hier! Du hast mich wohl gar nicht angesehen?“
    „Nein.“
    „Ich bin Hofmanns Engelchen.“
    Da gab es drüben ein Geräusch, als ob jemand rasch emporfahre, und dann sagte eine hastige Stimme:
    „Das Engelchen? Ist's wahr? Ist's möglich?“
    „Ja, ich bin es.“
    „Herr Jesus Christus! Ja, du bist es! Jetzt erkenne ich dich an der Stimme! Ganz gewiß bist du unschuldig, geradeso wie ich! Wegen wem bist du denn da?“
    „Wegen dem Fritz Seidelmann.“
    „Wegen dem auch? Engelchen, ich bin vor Schreck ganz starr. Wie kannst du wegen dem gefangen sein?“
    „Ich habe auf ihn geschossen!“
    „Geschossen? Mein Herr Jesus! Warum denn?“
    „Er hat den Hauser Eduard angezeigt und gesagt, daß er der Waldkönig sei. Sie haben den Eduard gefangengenommen und auf ihn geschossen, so daß er ganz blutig war. Ich bin dazu gekommen, und die Grenzer standen dabei. Da weiß ich nicht, wie es gekommen ist. Ich habe das Gewehr eines Grenzers genommen und auf den Seidelmann abgedrückt.“
    „Herrgott! Und hast du ihn erschossen?“
    „Nein. Er ist nur am Ohr gestreift.“
    „Allen Heiligen sei Dank! So bist du also keine Mörderin?“
    „Nein. Aber man hat mich dennoch wegen Mordversuch arretiert und hierher geschafft.“
    „Das ist gar traurig. Aber warum hat denn Seidelmann den Eduard für den Pascherkönig ausgegeben?“
    „Um ihn zu verderben. Seidelmann wollte nämlich –“
    Sie stockte. Auguste Beyer fragte:
    „Was wollte er?“
    „Mich. Ich sollte seine Geliebte sein.“
    „Du? Er wollte dich etwa heiraten?“
    „Er sagte es.“
    „Glaub es ihm nicht, Engelchen! Glaub es ihm um Gottes willen nicht. Er will dich nur verführen und unglücklich machen, ganz so, wie er es bei mir gemacht hat.“
    „Ich habe es ihm auch nicht geglaubt. Er hat gemerkt, daß ich dem Eduard gut bin, und darum hat er ihn verderben wollen.“
    „So bist du jetzt wohl Eduards Schätzchen geworden?“
    „Ja.“
    „Das ist gut; das ist schön! Den Eduard gönne ich dir. Er ist ein guter, braver und ehrlicher Bursche, und du wirst mit ihm glücklich werden. Also geschossen haben sie auf ihn! Was ist dann mit ihm geworden?“
    „Er ist auch eingesperrt.“
    „Auch gefangen? Wohl gar hier?“
    „Ja. Wir sind zusammen hergeschafft worden.“
    „Welch eine Schlechtigkeit! Er ist sicher unschuldig! Darauf kann man getrost zehn Eide schwören. Habe keine Sorge. Seine Unschuld wird an den Tag kommen.“
    „Um ihn sorge ich mich auch nicht, desto mehr aber um mich.“
    „Warum?“
    „Mordversuch! Das klingt gar schrecklich.“
    „Es ist aber nicht so schrecklich, wie es klingt. Was haben denn deine Eltern gesagt, als sie es erfuhren?“
    „Die Mutter war nicht da, und der Vater hat kein Wort herausgebracht. Er ist an allem schuld. Er wollte mich zwingen, zu Seidelmann zu ziehen.“
    „Um Gottes willen nicht, Engelchen! Du siehst ja, wie es mir ergangen ist. Ich bin nur einige Tage dort gewesen, und die Folgen wirst du wissen.“
    „Ist es denn wirklich so anders mit dir?“
    Es entstand eine minutenlange Pause, dann antwortete die Tochter des Schreibers:
    „Warum fragst du? Alle Welt wird es bereits wissen!“
    „Du Ärmste!“
    „Ja. Und ich bin unschuldig, das kann ich bei allen Heiligen beschwören. Ich habe mich gegen ihn gewehrt wie ein Teufel. Ich habe um Hilfe gerufen, aber niemand hat es gehört.“
    „Das glauben dir alle Leute!“
    „Und den Ring habe ich auch nicht gestohlen!“
    „Er hat ihn dir geschenkt?“
    „Nein. Als ich mit ihm rang, blieb mir sein Ring in der Hand. Ich habe ihn behalten, um beweisen zu können, daß er bei mir gewesen ist.“
    „Hättest du ihn doch lieber zurückgegeben.“
    „Leider! Ich sehe jetzt auch ein, daß ich da sehr unvorsichtig gewesen bin. Man wird mich als Diebin bestrafen. Und nachher –“
    Sie schwieg. Engelchen fragte:
    „Und vor dem anderen, was nachher kommen wird, fürchtest du dich auch? Nicht wahr?“
    „Ja. Mein Leben ist verdorben. Ich bin ein unglückliches Geschöpf und habe nichts mehr zu hoffen!“
    „Das darfst du nicht sagen! Die Leute wissen alle, daß du unschuldig bist.“
    „Gehe mir
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