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595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)

595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)

Titel: 595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
Autoren: Jo C. Parker
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wieder rechts einordnen will, fährt ein Spasti die Lücke zu. Ich blicke ihn wütend an, er grinst hämisch zurück. Zornig zeige ich ihm den ausgestreckten Mittelfinger. Daraufhin spitzt er seine Lippen zum höhnischen Kuss.
    Plötzlich fällt mir das Atmen unsagbar schwer. Ich kriege keine Luft mehr. Als hätte sich ein Elefant auf meinen Brustkorb gesetzt. Schweißperlen rinnen mir das Gesicht hinab. Ein unerträglicher Schmerz durchzuckt mich. Ich höre leiser werdende Hupgeräusche, ehe ich das Bewusstsein verliere.
    Ein Körperfunktionscheck signalisiert die Wiederherstellung in allen Bereichen: Atmung normal, Schmerzen verblasst, Sehstörung beseitigt. Jedoch sitze ich nicht in meinem Auto, sondern stehe allein in einem Tunnel. An dessen Ende entdecke ich ein zügig näher kommendes Licht, in dem sich eine Gestalt befindet. Sie trägt ein helles Gewand, ihre langen, blonden Haare fallen ihr bis über die Schultern. Anhand der Gesichtszüge erkenne ich nicht, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Stattdessen bemerke ich auf dem Rücken zwei weiße Flügel aus Federn.
    Oh nein! Bitte nicht!
    Oder fängt die Karnevalssession dieses Jahr extrem früh an?
    »Willkommen!«, werde ich freundlich begrüßt. Selbst die Stimme bietet keinerlei Anhaltspunkte für die Geschlechtsbestimmung.
    »Wer bist du?«, frage ich.
    »Sascha, dein persönlicher Jenseitsbegleiter.«
    Sascha!
    Klar. Warum nicht Jens oder Jasmin? Dann wäre wenigstens ein Punkt geklärt. Doch ausgerechnet mein Begleiter trägt einen Namen, den es für Männer und Frauen gibt.
    Moment!
    Die Gestalt hat sich als
Jenseitsbegleiter
vorgestellt. Wäre sie weiblichen Geschlechts, hätte sie sich als
Begleiterin
bezeichnen müssen.
    Andererseits: Wer garantiert mir, dass im Himmel auf solche sprachlichen Feinheiten Wert gelegt wird?
    Also gelange ich zu der Auffassung, in dieser Hinsicht keine endgültigen Schlüsse ziehen zu können, ehe mir bewusst wird, gestorben zu sein.
    Was unmöglich sein kann! Ich bin siebenunddreißig!
    »Das ist ein Irrtum«, informiere ich Sascha, ohne ihm die Schuld an diesem Schlamassel zu geben. Soll er es halt in Ordnung bringen.
    »Was ist ein Irrtum?«, fragt er begriffsstutzig. Ich habe für mich entschieden, dass es ein Er ist.
    »Ich bin nicht tot!«
    »Bist du wohl!«
    »Unmöglich!«
    »Weshalb bist du dann hier?«
    »Weshalb bist du dann hier?«, äffe ich seine affektierte Sprachmelodie nach, die mir allmählich auf den Sack geht.
    So gekünstelt hat zuletzt der Priester bei der Beichte vor der Erstkommunion mit mir gesprochen.
    »Natürlich war es falsch, Isabel so feste an den Haaren zu reißen, dass sie geweint hat. Falls du es ehrlich bereust, verzeiht dir Gott.«
    Sascha blickt mich erwartungsvoll an.
    »Meine Zeit ist noch nicht gekommen«, kläre ich ihn auf.
    »Wir irren uns nie«, beharrt Sascha.
    »Ich bin erst siebenunddreißig!«, teile ich ihm triumphierend mit. Damit ist ja wohl alles gesagt.
    »Du warst ein siebenunddreißigjähriger Mann mit stark erhöhtem Blutdruck und schwachem Nervenkostüm, der sich zu wenig bewegt hat«, kontert er.
    »Stark erhöhtem Blutdruck? Du übertreibst!«, wende ich ein. »Bei der letzten Untersuchung hatte ich einen Blutdruck von einhundertfünfundvierzig zu neunzig.«
    »Das waren deine Werte vor zwölf Monaten. Seitdem hast du deinen Arzt nicht mehr aufgesucht«, tadelt er mich. »Als dir gestern schwindelig wurde und du dich in der Diele hinsetzen musstest, lagen sie bei einhundertneunzig zu einhundertzehn.«
    Stehen dem Himmel drahtlose, unsichtbare Messgeräte zur Verfügung? Wie werden die Daten wohl übermittelt? Über W-LAN, dem UMTS-Netz oder dem Wolkenbreitbandnetz?
    »Ich hatte noch so viel vor«, beschwere ich mich. »Heute Abend wollte ich beispielsweise mit einem Kinderroman anfangen. Deinem Boss gefällt es bestimmt, wenn Kinder lesen.«
    »Die Idee für den Roman hattest du bereits vor einem Vierteljahr. Bist du dir sicher, dass du ausgerechnet heute Abend mit dem Schreiben begonnen hättest?«
    Seine unerbittliche Art, mit der er die Einwände pariert, nervt. Ich erinnere mich an meine letzten Lebensminuten, die ich im Stau verbracht habe. Was für ein unwürdiger Abgang!
    »Was ist mit der Zeit, die mir auf Erden gestohlen worden ist?«, frage ich ihn.
    Zum ersten Mal wirkt er leicht unsicher. »An welche Zeit denkst du?«
    »Wie oft habe ich in meinem Leben im Stau gestanden? Wenn ich das zusammenzähle, komme ich wahrscheinlich auf zwei
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