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55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

Titel: 55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Autoren: Karl May
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sei, ihn zu bestrafen, und befahl diesem, die öffentliche Abbitte zu tun. Müller stieg sehr bereitwillig auf einen Stuhl und sagte mit lauter Stimme:
    „Ich bitte öffentlich um Verzeihung, daß der Herr Graf Rallion durch mich nichts fertigbringt als Löcher ins Tuch. Ich hoffe, daß bei der nächsten Partie nicht wieder ich derjenige sein werde, der um Verzeihung bittet. Gute Nacht!“
    Er stieg vom Stuhl und war zur Tür hinaus, ehe man ihn fragen konnte, wie er seine letzten Worte gemeint habe. Die Herren dachten wohl nicht, daß das Gesagte bereits am nächsten Morgen in Erfüllung gehen würde. Müller hatte das Zimmer so schnell verlassen, um alle Weiterungen zu vermeiden und sich zur Ruhe zu begeben. Er kannte die Lage der ihm angewiesenen Kammer, da man ihm dieselbe bei seiner Ankunft gezeigt hatte, und war überzeugt, sie aufzufinden, auch ohne daß es nötig war, sich leuchten zu lassen.
    Er gelangte in den ersten Stock, dessen ganzen Korridor er zu durchgehen hatte, um die Treppe zu erreichen, die ihn vollends nach oben brachte. Der Fußboden war mit einem weichen Läufer belegt, so daß seine Schritte nur ein sehr geringes Geräusch hervorbrachten. Er hatte noch nicht die Hälfte seines dunklen Weges zurückgelegt, da öffnete sich gerade vor ihm eine Tür, und eine Dame trat heraus. Sie stand nach dem Innern des Zimmers gerichtet, so daß er sie nur von hinten sehen konnte, und sagte in das Zimmer hinein:
    „Nochmals gute Nacht, meine liebe Nanon. Träume nicht allzuviel von deinem Ideal, sonst verwirklicht es sich dir, wie mir das meinige!“
    Sie wendete sich um und erblickte ihn. Beide standen einander gegenüber, ganz bewegungslos, sie vor Schreck und er vor glücklichem Erstaunen. Das war ja das leibhaftige Original seines Bildes! Und wie schön, wie unendlich schön war sie in dem Nachtgewand, welches ihre entzückenden Reize nicht zu verbergen vermochte. Das Blut drängte sich nach Müllers Herzen; seine Pulse stockten; er fühlte, daß dieses Mädchen sein werden müsse um jeden Preis, der sich mit der Rücksicht auf seine Ehre vertrage.
    Und sie war erschrocken, hier so plötzlich einen Mann vor sich zu sehen.
    „Was wollen Sie hier?“ fragte sie ihn, um nur etwas zu sagen.
    „Verzeihung“, antwortete er; „der Teppich dämpfte den Schall meiner Schritte. Ich wollte vorübergehen, als Sie auf den Korridor traten.“
    Er sagte dies in einem Ton, welcher ihre Bestürzung völlig beseitigte. Sie erhob das Licht, welches sie in der Hand hielt, und beleuchtete ihn, ohne daran zu denken, daß sie mit dem erhobenen Arme eine Figur von so plastischer Vollendung, so sinnverwirrender Schönheit bilde, daß er alle seine Beherrschung aufbieten mußte, um seinen Blicken zu gebieten, sich nicht zu verirren.
    Jetzt fiel das Licht voll auf ihn. Ihre Augen öffneten sich; sie trat rasch einen Schritt zurück und fragte hastig:
    „Wer sind Sie?“
    „Ich heiße Müller und bin Lehrer“, antwortete er. Wie gern hätte er ihr seinen wahren Namen und Stand genannt und ihr gesagt: „Ich liebe dich zum Rasendwerden. Sei mein, du Krone aller Mädchen und Frauen!“
    „Ah, welche Ähnlichkeit!“ sagte sie.
    „Fast nur bis auf den Bart!“ erklang da eine silberhelle Stimme aus dem geöffneten Zimmer heraus.
    Müller hatte bis jetzt nur Augen für die Baronesse gehabt; nun erst bemerkte er, daß eine zweite Dame im Zimmer stand und ihn betrachtete. Er konnte sich ihre Worte nicht erklären, machte eine Verbeugung und setzte seinen Weg fort.
    „Mein Gott!“ hörte er hinter sich rufen. Die folgenden Worte wurden leise geflüstert, so daß er sie nicht verstehen konnte. Sie lauteten: „Der Mann ist ja – bucklig, liebe Marion. Wie schade, um dieses Gesicht!“
    Marion trat wieder in das Zimmer zurück, zog die Tür heran und sagte:
    „Er hat mich sehr erschreckt. Also auch du hast seine Ähnlichkeit bemerkt?“
    „Mit der Photographie des Rittmeisters von Königsau? Ja. Doch gehen sie einander jedenfalls nichts an.“
    „Ganz sicher. Aber im ersten Augenblicke war es mir doch, als ob er wirklich vor mir stände, ganz er selbst, nur ohne Bart. Gute Nacht, Nanon!“
    „Gute Nacht, meine beste Marion!“
    Die Baronesse schloß die Tür und begab sich in das nebenan liegende Zimmer, welches das ihrige war. Sie hatte es vorhin auf kurze Zeit verlassen, um noch ein paar Worte mit der Freundin zu plaudern.
    Während die Damen sich zur Ruhe begaben, lehnte Müller am offenen Fenster seines
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