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5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)

5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)

Titel: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
Autoren: Bronnie Ware
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denselben Pulli. Er war schon achtundachtzig und war nie verheiratet gewesen. Aber im Kopf war er noch vollkommen klar, er hatte einen großartigen Charakter, und es war ein Vergnügen, ihn und seinen schlichten Lebensstil kennenzulernen.
    Ruth erholte sich jedoch nicht von ihrer Krankheit. Nach einem Monat war sie noch immer bettlägerig. Man stellte weitere Untersuchungen an, und dann teilte man mir mit, dass sie sterben würde.
    Mit Tränen in den Augen wanderte ich zum Hafen hinunter. Alles fühlte sich auf einmal so surreal an. Die Kinder spielten im seichten Wasser. Die Fußgängerbrücke über die Bucht schwang leicht hin und her, als glückliche Menschen darüber gingen. Fähren auf ihrem Weg zum Circular Quay im Stadtzentrum dampften vorbei. Ich ging weiter wie im Traum, während das Gelächter einer Picknickgesellschaft zu mir herüberdrang.
    Ich setzte mich hin, lehnte mich an eine Sandsteinklippe und blickte zum schönen Himmel empor. Das Wasser wurde fast bis an meine Füße gespült. Es war einer dieser perfekten Wintertage, wenn sich die Wärme der Sonne wie Balsam anfühlt. In Sydney ist es im Winter nie so kalt wie in Europa. Es war ein herrlicher Tag, an dem ein leichter Mantel völlig ausreichte. Da Ruth mir inzwischen ans Herz gewachsen war, kamen mir beim Gedanken an ihren Tod die Tränen. Meine erste Reaktion auf die Aussicht, sie bald zu verlieren, war ein Schock. Eine Yacht voll fröhlicher, gesunder Leute segelte vorbei, und mir strömten die Tränen übers Gesicht. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich sie weiter betreuen würde, dass ich sie bis zum Tod pflegen würde.
    Da ich auf einer Rinder- und später Schaffarm groß geworden war, hatte ich eine Menge sterbende oder tote Tiere gesehen. Der Tod war mir also nichts Neues, wenngleich ich immer noch schrecklich empfindlich darauf reagierte. Doch in der Gesellschaft, in der ich lebte, in der modernen Gesellschaft westlicher Prägung, war es nicht üblich, dass die Menschen regelmäßig Sterbende zu sehen bekamen. Nicht wie in manchen anderen Kulturen, in denen der Tod eines Menschen ganz offen erlebt wird, als sichtbarer Teil des täglichen Lebens.
    Unsere Gesellschaft hat den Tod ausgesperrt, fast als könnte sie damit seine Existenz leugnen. Dieses Leugnen hat zur Folge, dass sowohl der Sterbende als auch seine Familie oder Freunde gänzlich unvorbereitet diesem unvermeidlichen Ereignis gegenüberstehen. Wir alle müssen einmal sterben. Doch statt die Existenz des Todes anzuerkennen, versuchen wir ihn zu verbergen. Als wollten wir uns selbst weismachen, dass die Taktik » aus den Augen, aus dem Sinn « funktioniert. Aber das tut sie nicht. Stattdessen versuchen wir, uns durch unser materielles Leben zu bestätigen, und benehmen uns entsprechend ängstlich, sowie wir mit dem Tod konfrontiert werden.
    Doch wenn wir fähig sind, unseren unvermeidlichen Tod aufrichtig anzunehmen, bevor unsere Zeit gekommen ist, können wir unsere Prioritäten verlagern, bevor es zu spät ist. Das gibt uns die Chance, unsere Energien auf Dinge zu verwenden, die die Mühe wirklich wert sind. Sobald wir uns klargemacht haben, wie begrenzt die Zeit ist, die uns noch zur Verfügung steht– auch wenn wir nicht wissen, ob es Jahre, Wochen oder Stunden sind–, werden wir nicht mehr so stark von unserem Ego angetrieben oder von der Meinung anderer Leute über uns. Stattdessen steuern wir auf das zu, was unser Herz wirklich will. Dieses Anerkennen unseres unvermeidlichen, immer näher rückenden Todes gibt uns die Chance, viel mehr Sinn und Befriedigung in der Zeit zu finden, die uns noch bleibt.
    Irgendwann wurde mir klar, wie schädlich es für unsere Gesellschaft ist, den Tod so zu leugnen. Doch damals, an jenem sonnigen Wintertag, hatte ich auf Grund dieser Vermeidungshaltung keine Ahnung, was mir mit Ruth und ihrer Pflege bevorstand. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Mauer und betete um Kraft. Nachdem ich schon alle möglichen Herausforderungen in meiner Jugend und meinem Erwachsenenleben gemeistert hatte, glaubte ich fest daran, dass ich nicht hierhergekommen wäre, wenn ich nicht fähig wäre, diese Aufgabe auch zu bewältigen. Auch wenn das meine persönliche Traurigkeit und den Schmerz nicht wirklich linderte.
    Doch als ich an jenem Tag die Wärme der Sonne spürte und stumm die Tränen laufen ließ, wusste ich, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen hatte und Ruth bis zu ihrem Tod alle Freude und allen Trost schenken wollte, die ich ihr nur geben
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