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40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

Titel: 40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte
Autoren: Timm Kruse
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mich aber nicht schrecken. Spannend sei es allemal. Er fragt, was ich mir denn beweisen wolle? »Nichts«, lüge ich und frage mich, ob ich den Kaumuskel rechts an meinem Kiefer kratzen darf. Ich wolle nur eines wissen: Was an diesen biblischen 40 Tagen dran sei. Er schüttelt den Kopf und meint, 40 Tage Fasten sei Hungern! Von Erleuchtung erwähne ich lieber nichts.
    Ich werde alle 14 Tage EKG und Blutwerte überprüfen lassen. Außerdem pinkel ich täglich dreimal auf einen Lackmus-Streifen, um zu ermitteln, wie sauer ich bin. Wenn ich schon so einen Versuch durchführe, soll wenigstens etwas Messbares dabei herausspringen.
    Nach dem Arztbesuch plagt mich zu Hause der Hunger. Beim Fasten fällt mir der Anfang immer schrecklich schwer. Ich beschließe spontan, doch zur Arbeit zu gehen. Wenn ich mich beschäftige, spüre ich wenigstens den Hunger nicht so sehr. Es ist 14 Uhr. Ich hole mein Rennrad aus dem Schuppen und genieße die Fahrt, die geschwungene Landschaft und die kurzen sonnigen Momente zwischen dicken Wolkenbatzen. Die 15 Kilometer haben allerdings meinen Hunger nicht gerade gestillt.
    »Du stirbst! 40 Tage überlebt man nicht. Gerade bei den Aufbautagen sind schon mehrere Menschen qualvoll verendet. Der Darm verklebt, dann platzt er, und die Scheiße dann aus dem Bauchraum zu kramen ist ziemlich übel!« Ein durchaus fachkundiger Kommentar. Der leicht übergewichtige Kollege mit dem schmalzigen Haar hat Erfahrung mit Scheiße auf allen Gebieten. Er war mal so etwas wie der Polizeireporter der Redaktion und ist somit Spezialist für Blut, Tränen und sonstige Körpersekrete.
    Die Kollegen sind für ihre Direktheit bekannt. Ihre Fürsorge ist mir allerdings neu. Ich radle also nach einem Kurzbesuch besser wieder nach Hause.
    Vom Fahrrad aus entdecke ich plötzlich riesige Brombeeren. Ich lege elegant eine Vollbremsung hin, pflücke eine und – nein! Fast hätte ich es vergessen. Erst mal keine Nahrung.
    Schneller Stopp bei Olaf, dem Fotografen. Mein Verfall soll schließlich dokumentiert werden, wenn Hüftspeck Hüftknochen weicht. Er lichtet zusammen mit seiner Frau die Veränderung meines Körpers in allen möglichen Posen ab, mal mit, mal ohne Klamotten.
    Es ist mir peinlich, fotografiert zu werden. Noch dazu in einem Profistudio. Da sollten sich fotogenere Menschen tummeln. Außerdem hasse ich es, auf Kommando in eine Kamera zu lächeln, und tue es deshalb auch nicht.
    Die beiden zeigen mir nach gut 30 Minuten Knipsen das digitale Ergebnis. Ich bin nicht mein Körper, so heißt es im Buddhismus – nur wissen das leider nicht alle.
    Wir werden jetzt alle drei Tage solche Aufnahmen machen. Ich muss mich also daran gewöhnen.
    Ich erlebe aufdringlich, dass Nahrungsaufnahme fast eine Sucht ist, ein Vertilgen, reiner Automatismus. Essen dient der Befriedigung einer Gier und ist selten Lust oder Genuss. Es verkommt zum unbewussten In-sich-Reinstopfen. Ich esse beim Lesen, beim Autofahren, Fernsehen und auch beim Musikhören. Nach einem einzigen Tag Fasten schwöre ich mir, in Zukunft nur noch bewusst zu essen und jeden einzelnen Bissen zu genießen. Und auch nie wieder so viel zu essen, dass mir danach schlecht ist. Allerdings sind 40 Tage Fasten auch irgendwie maßlos.
    Meine Füße sind eiskalt, und ich habe alle meine Wollsocken bei Gabi. Verdammt!
    Hunger verspüre ich heute merkwürdigerweise nur selten. Dafür habe ich großen Appetit. Allein beim Schreiben über die Möglichkeit der Nahrungsaufnahme läuft mir die Spucke im Munde zusammen. Bloß nicht daran denken. Ich blättere lieber in den Fastenbüchern, die ich mir bestellt habe. Fasten ist so alt wie die Menschheit … Mussten Paradiesianer auch fasten?
    Fasten hat etwas Heiliges, steht in meinen Büchern. Im Vergleich zu den Sadhus in Indien betreibe ich hier eher Kuschelfasten. Die trinken tatsächlich nur Wasser, 40 Tage lang. Dagegen ist mein Fasten mit Säften, Buttermilch und allem häuslichen Luxus das reinste Vergnügen. Gandhi, der berühmteste Inder und Fastende, wollte durch Fasten die Einheit Indiens erreichen. Vergeblich, wie wir heute wissen. Und was will ich erreichen? Erleuchtung – mehr nicht.
    Fasten hat auch etwas Gemütliches. Ich würde sonst nie um diese Uhrzeit – halb acht abends – bei Kerzenschein zu Hause auf dem Teppich liegen und Tagebuch führen. Die Gedankenspiralen hören auf, wenn ich mich aufs Schreiben konzentriere. Ich schreibe mir alten Ballast von der Seele.
    Jetzt will ich schlafen. Nur noch 39 Tage –
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