Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
4 Meister-Psychos

4 Meister-Psychos

Titel: 4 Meister-Psychos
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
niemanden hat. Kommt er denn wieder?«
    »Er hat nichts gesagt. Ich
glaube kaum.«
    Sie tat mir leid. Sie blieb
unschlüssig stehen.
    »Ja, ich weiß nicht — ich
könnte wenigstens ein paar Messungen machen. Dazu brauche ich ihn nicht.«
    »Aber gern«, sagte ich. »Wenn
ich zusehen darf, kann ich gleich ein bißchen profitieren.«
    Sie holte einen weißen Kittel
aus dem Schrank und zog ihn an. Sie schien schon oft hiergewesen zu sein. Mir
war vollkommen klar, auf welche Weise Peters sie bezahlte.
    Wir gingen zum Labor II. Im
Lampenlicht wirkte die Unordnung nicht ganz so trostlos wie bei Tag.
    Das Mädchen schaltete einen der
Zählapparate ein. Dann suchte sie in einem Schubfach nach Gummihandschuhen. Ich
setzte mich auf einen Schemel und sah ihr zu. Sie wirkte schmal und
zerbrechlich in dem weißen Leinen.
    »Bißchen genial sieht es hier
aus«, sagte ich. »Finden Sie denn auch alles?«
    »Ach ja«, sagte sie mit einem
flüchtigen Blick zu mir. »Ich habe mich daran gewöhnt.«
    »Gewöhnt? Sieht es denn immer
so aus?«
    »Meistens. Ich habe schon ein
dutzendmal aufgeräumt. Nach ein paar Tagen ist es wieder genauso.«
    »So. Ich dachte, der Umbau...«
    Sie vollführte eine resignierte
Geste.
    »Ach was. Schon seit einem
halben Jahr soll hier umgebaut werden. Bis jetzt hat sich noch nichts getan.«
    »Sind Sie schon lange hier?«
fragte ich vorsichtig.
    Sie zögerte etwas mit der
Antwort.
    »Nicht regelmäßig. Bis vor zwei
Monaten war eine Assistentin da.«
    »Sie sind Röntgenassistentin in
der Inneren?«
    »Ja.«
    »Und da machen Sie hier
freiwillig Überstunden?«
    »Manchmal wundere ich mich
selbst«, sagte sie leise.
    Ich lächelte freundlich, um
unbefangen auszusehen.
    »Warum tun Sie’s denn?«
    Sie schwieg und hantierte am
Zähler, ohne sich umzuwenden. Dann sagte sie: »Nun, es interessiert mich. Wir
haben drüben keine Isotopen. Man muß einmal reingerochen haben.«
    »Natürlich«, sagte ich.
»Deswegen bin ich auch hier.«
    Ich wußte genug. Sie war in
Peters verliebt, und er nutzte das auf seine Weise aus. Für Liebe ohne
Nutzeffekt war er nicht.
    Heute hatte er sich mit ihr
verabredet und sich nicht daran gehalten.
    Er war ihrer sicher
überdrüssig.
    Sie zog mit der Pipette eine
Flüssigkeit aus einem Kolben und füllte sie in ein Zählrohr. Ich sah ihr zu und
hörte das Ticken des Zählers. Sie beantwortete mir ein paar Fragen. Als sie
fertig war, gingen wir zurück. Es war schon nach halb sieben.
    Als sie im Mantel an der Tür
stand, fragte ich: »Soll ich Doktor Peters etwas ausrichten?«
    Verwirrt schüttelte sie den
Kopf.
    »Nein, vielen Dank. Es ist
nicht nötig. Ich sehe ihn ja bald. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht«, sagte ich.
    Sie ging schnell hinaus.

III
     
     
    Vier Wochen nach diesem ersten
Tag wußte ich über Peters genau Bescheid.
    Niemals war mir ein größerer
und skrupelloserer Egoist begegnet. Ein Nihilist, ohne jedes moralische
Empfinden, eiskalt bis ans Herz. Dazu ein Heuchler, der einen Wall von großen
und kleinen Lügen um sich aufschichtete, um der Umwelt sein wahres Wesen zu verbergen.
    Er machte oben den Rücken krumm
und trat unten. Männer, von denen er nicht abhängig war, behandelte er mit
arroganter Dreistigkeit. Frauen zog seine Erscheinung an, und sein Charme
eroberte sie. Er nutzte sie aus und stieß sie brutal von sich, wenn nichts
Neues mehr zu erwarten war.
    Ohne Zweifel war er
hochintelligent. Aber er selbst hielt sich für mehr. Unordnung und
Pünktlichkeit waren ihm nicht angeboren, wie ich zuerst vermutet hatte. Er
pflegte sie aus Prinzip, weil sie ihm als Bestandteil seines genialen Wesens
notwendig erschienen.
    Dabei war seine praktische
Arbeitsleistung gleich Null. Die Routinearbeit kümmerte ihn nicht. Patienten
interessierten ihn nur als Fälle und Versuchsobjekte. Ihr Schicksal war ihm
gleichgültig. Seine Position beim Chef hielt er, weil er sich in die
Isotopenmedizin eingearbeitet und durch einige Veröffentlichungen den Ruf eines
wissenschaftlichen Arbeiters erworben hatte. Er experimentierte planlos, je
nach Laune, fing mehrere Dinge zur gleichen Zeit an und vollendete das
wenigste. Leuten wie mich, die auf ihn angewiesen waren, oder wie Ilse Strübel,
die das verwahrloste Labor in Kauf nahm, um in seiner Nähe zu sein, überließ er
das Alltägliche und die Schmutzarbeit. Seine Assistentinnen waren ihm
weggelaufen, nicht aus Angst vor Strahlen, sondern aus Abscheu vor ihm, der
sich gesteigert hatte, je länger sie ihn kannten.
    Peters’
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher