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35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

Titel: 35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
Autoren: Karl May
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finden.“
    Er warf mir einen langen, unbeschreiblichen Blick aus den halb geschlossenen Augen zu. Es war gewiß, daß ihn nur die Aufregung beim Bewußtsein erhielt. Er kämpfte mit bewunderungswürdiger Selbstbeherrschung seine Schmerzen nieder.
    „Ein Teufel bist du!“ knirschte er. „Aber du sollst nicht siegen, denn wisse –“, er richtete sich wieder halb auf und fügte mit dem Ausdruck des grimmigsten Hasses hinzu: „Die Rache kommt; dein Ende ist nahe, näher als du denkst!“
    „Wollen Sie mir bange machen, mich einschüchtern? Das gelingt Ihnen nicht.“
    „So halte die Hoffnung fest; aber sie wird dich betrügen, schnell, plötzlich und unerwartet. Gibst – du – mich – frei?“
    Er brachte diese Frage nur mit größter Anstrengung hervor.
    „Nein“, antwortete ich. „Gomarra ist tot, und wir anderen sind nicht so blutdürstig, wie er war. Wir werden dich nicht töten, sondern, falls du deinen Verletzungen nicht erliegst, dich den Gerichten übergeben.“
    „Ver – suche – es!“ hohnlachte er, kaum noch imstande, den Oberkörper aufrecht zu erhalten. Die Augen fielen ihm zu. „Die Zeichnung ist – ist in sicheren – in sicheren Händen.“ Er fiel nach hinten, stützte sich aber noch auf den unverletzten linken Arm und fuhr mit nach und nach erlöschender Stimme fort: „Der Rächer kommt – er ist – wohl schon – da. Droben an – an der Roca de la Ventana – dort holt – er die Zeichnung. Er bringt – bringt sie her, und – und wehe – wehe dir, wenn – wenn er dich – dich – hier – trifft!“
    Er sank vollends nieder. Seine Lippen schlossen sich; seine Wangen fielen ein; er hatte ganz das Aussehen eines Toten.
    „Entsetzlich!“ klagte der Bruder, welcher die drei Kipus, welche er aufmerksam betrachtet hatte, noch immer in den Händen hielt. „Er geht in seinen Sünden hinüber. Er will nicht bereuen und bekennen. Ist er tot?“
    „Nein“, antwortete ich, indem ich den Puls des Sendadors untersuchte. „Entweder sind seine Verletzungen nicht zum Tod, oder seine Natur ist so stark, daß sie nur nach langem Kampf unterliegt.“
    „Wollen ihn verbinden.“
    „Warten wir noch. Seine Wunden bluten nicht. Ich möchte ihn nicht stören. Vielleicht sammelt er noch einmal seine Kräfte; es widerstrebt mir, die Hoffnung aufzugeben, daß er doch noch zur besseren Erkenntnis kommt. Übrigens ist das, was er sagte, höchst wichtig. Er sprach von jemandem, der die Zeichnung holt.“
    „Ja, von der Roca de la Ventana.“
    „Der Felsen des Fensters. Wo mag das sein?“
    „Ich weiß es“, antwortete Pena. „Der Roca de la Ventana ist eine dünne, alleinstehende Felswand, in welcher sich eine viereckige, fensterähnliche Öffnung befindet.“
    „Wo?“
    „Eine halbe Tagesreise aufwärts von hier.“
    „Ob er die Zeichnung dort versteckt hatte?“
    „Jedenfalls.“
    „Aber dann muß derjenige, welchen er beauftragt hat, sie zu holen, sein ganzes Vertrauen besitzen. Wie erfahren wir, wer das ist und wo – ah, das müssen doch die Chiriguanos wissen!“
    Ich gab dem Häuptling einen Wink und fragte ihn, als er herbeigekommen war:
    „Ist den Chiriguanos ein Felsen bekannt, welcher die Roca de la Ventana heißt?“
    „Ja, Herr, sehr gut“, antwortete er.
    „Hat der Sendador jemand dorthin geschickt?“
    „Ja, seinen Sohn.“
    „Ah! Seinen Sohn! Er hat also nicht nur einen Schwiegersohn, sondern auch einen wirklichen Sohn? Das wußte ich nicht. Wo mag er mit ihm zusammengetroffen sein? Ist dieser Sohn allein hinauf nach der Roca de la Ventana?“
    „O nein; es sind fünfzehn meiner Leute mit.“
    „Fünfzehn? Das müßte ich doch euern Spuren angesehen haben!“
    „Vielleicht seid Ihr zu spät auf unsere Fährte gestoßen. Der Sohn des Sendador hat sich schon vorgestern von uns getrennt, weil uns das Fleisch ausging und zwei kleine Abteilungen sich leichter verproviantieren können als eine große.“
    „Wann wollte er hier ankommen?“
    „Spätestens heute am Abend.“
    „Ah, das ist gefährlich; da gilt es aufzupassen. Die Roca de la Ventana liegt von hier aufwärts, also haben wir ihn von oben herab zu erwarten?“
    „Nein, Herr. Von hier aufwärts ist die Roca nur unter großen Beschwerden zu erreichen. Leichter kommt man hin von da unten aus.“ Er deutete auf den See hinab und dann nach der Felsenenge, aus welcher wir gekommen waren. „Man reitet dort hinein, euern Weg zurück und wendet sich später nach Westen in die Berge
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