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35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

Titel: 35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
Autoren: Karl May
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nämlich auf Ihrer rechten Brust.“
    Als ich jetzt nach der angegebenen Stelle greifen wollte, stieß er meine Hand von sich und schrie:
    „Es ist nicht wahr; es ist nicht wahr! Sie täuschen sich vollständig. Lassen Sie mich; rühren Sie mich nicht an!“
    „Wehren Sie sich nicht, sonst muß ich Gewalt anwenden!“
    „Wagen Sie es; die Schnüre gehören nicht Ihnen; Sie haben kein Recht auf dieselben!“
    „Sie noch viel weniger, denn Sie haben sich durch einen Mord in den Besitz derselben gebracht. Geben Sie sie freiwillig her?“
    „Nein, und wieder nein!“
    „So haben Sie es sich selbst zuzuschreiben, wenn wir Ihnen trotz Ihrer Verletzungen wehtun.“
    Er wurde auf meinen Wink von einigen Yerbateros festgehalten und ich untersuchte seine Kleidungsstücke genau. Er wollte sich wehren, mußte aber den Versuch aufgeben. Es war so, wie ich vermutet hatte; ich fand das Gesuchte auf der rechten Brustseite zwischen dem Futter. Es waren drei Kipus, jeder aus einer Haupt- und wenigstens dreißig Nebenschnüren bestehend. Der Sendador lag wieder lang ausgestreckt und atmete mühsam. Der Widerstand hatte ihn angegriffen. Er wollte sich wohl in lauten Verwünschungen oder Drohungen ergehen, brachte aber nur ein heiseres, häßliches Gemurmel fertig.
    Die anderen hatten noch niemals Kipus gesehen. Die Schnüre gingen von Hand zu Hand.
    „Und das sollen Buchstaben und Silben sein?“ fragte mich Pena.
    „Nein, sondern nur Zeichen. Das Wort Kipus oder eigentlich Khipus gehört der Khetsuasprache an und heißt so viel wie Knoten. Jeder Kipus besteht aus einer starken Hauptschnur, an welche verschiedenfarbige dünnere Nebenschnüre verschiedenfarbig angeknotet sind. Jede Farbe und jede Knotenart hat eine besondere Bedeutung.“
    „Und Sie können das entziffern?“
    „Ich will es versuchen. Übrigens sind die Kipus höchst ungenügende Gedächtnisbefehle, und eigentlich ist zu jeder Schnur ein mündlicher Kommentar notwendig, wenn man ihre Bedeutung verstehen will.“
    Der Sendador hatte diese Erklärung mit Aufmerksamkeit verfolgt. Jetzt zuckte es wie Schadenfreude über sein Gesicht, und er rief aus:
    „Das ist gut! Eine mündliche Erklärung! Die haben Sie nicht. Folglich können Sie diese Schnüre nicht lesen!“
    „Jubeln Sie nicht zu früh. Wenn ich von einem mündlichen Kommentar sprach, so meine ich nur, daß man wissen muß, wovon die Kipus handeln.“
    „Und das wissen Sie?“
    „Natürlich! Diese Schnüre handeln selbstverständlich von dem vergrabenen Schatz. Selbst der beste Entzifferer würde, wenn er das nicht wüßte, sich ganz vergeblich abmühen. Da ich es aber weiß, bedarf es keiner ungeheuren Gelehrsamkeit die Knoten zu enträtseln.“
    „So versuchen Sie es doch!“
    Er sah mir mit großer Spannung in das Gesicht. Vielleicht dachte er, ich würde mich verleiten lassen, sofort Auskunft zu geben.
    „Ich werde es versuchen“, antwortete ich der Wahrheit gemäß, „aber ich glaube nicht, daß es mir gelingen wird. Die Farben sind zerstört; ich bin kein Chemiker, und diese Knoten bedürfen jedenfalls der aufmerksamsten chemischen Behandlung, wenn die Farben wieder sichtbar werden sollen.“
    „Gracias à Dios! Sie werden also nichts entziffern können! Der Raub, welchen sie an mir begangen haben, wird Ihnen also keine Früchte bringen!“
    „Das beabsichtigte ich auch gar nicht. Der Vorteil sollte nur denjenigen zufallen, welche ein Recht auf denselben haben. Zu diesen Leuten gehören Sie freilich nicht. Übrigens werde ich auf alle Fälle dafür sorgen, daß diese Kipus in sach- und fachkundige Hände gelangen. Die Farben sind jedenfalls wieder sichtbar zu machen, und die Schnüre werden also gelesen werden.“
    „Und was nutzt es, wenn sie gelesen werden? Nichts, gar nichts! Mögen tausend Gelehrte sie entziffern, einen Vorteil wird es doch erst dann bringen, wenn ich einverstanden bin.“
    „Sie? Sie werden nicht gefragt!“
    „So wird man nichts finden, denn die Hauptsache habt Ihr doch noch nicht; die Pläne sind noch in meinem Besitz.“
    „Ah, ja, die Pläne!“ entfuhr es mir.
    „Ja, die Pläne!“ lachte er schadenfroh. „Die habe ich, sogar in mehreren Exemplaren, die ich anfertigen ließ, falls das Original verloren gehen sollte.“
    „Nun, ein solches Exemplar wird sich wohl auch noch finden lassen!“ meinte ich ruhig.
    „Wo denn? Bei wem denn? Gebt mich frei, so sollt Ihr es haben!“
    „Nein. Habe ich die Kipus gefunden, so werde ich auch die Zeichnung
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