Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata

34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata

Titel: 34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
auch bei den Frauen. Es können Tage vergehen, ehe man einmal eine Dame erblickt, welche die spanische Mantilla trägt. Über die Hälfte der Einwohnerschaft ist europäischen Ursprungs.
    Die Durcheinanderwürfelung der Nationalitäten ruft ein auffallendes Polyglottentum hervor. Leute, welche drei, vier und fünf Sprachen geläufig beherrschen sind hier weit zahlreicher als selbst in den europäischen Millionenstädten. Kurz und gut, so lange man sich innerhalb der Bannmeile der Stadt befindet, ist aus nichts zu ersehen, daß man sich auf südamerikanischem Boden bewegt. Man könnte sich ebenso gut in Bordeaux oder Triest befinden.
    Auch ich fühlte mich ziemlich enttäuscht, als ich jetzt, neugierig um mich blickend, langsam dahinschlenderte. Ich sah nur europäische Tracht und Gesichter, wie man sie überall findet, wenn man die dunkle Färbung derselben nicht als etwas Eigenartiges betrachten will.
    Auffällig waren mir nur die weißen oder roten Bänder, welche viele Herren an ihren Hüten trugen. Später erfuhr ich die Bedeutung derselben: Die Träger weißer Bänder gehörten zur politischen Partei der ‚Blancos‘, während die ‚Colorados‘ rote Abzeichnungen trugen. Señor Esquilo Aníbal Andaro war demnach nicht etwa Hochzeitsbitter, sondern ein Blanco gewesen. Höchst wahrscheinlich gehörte also der Oberst, mit welchem er mich verwechselt hatte, derselben Partei an. Vielleicht gelang es mir, den Namen desselben zu erfahren.
    An der Plaza de la Independencia angekommen, erkannte ich an einem riesigen Firmenschild das Haus, in welchem sich der Sitz der Filiale meines pfiffigen Yankees befand. Die Front desselben machte einen nichts weniger als imponierenden Eindruck. Sie zeigte nur das Parterre und den ersten Stock. In dem ersteren befand sich eine Tür von kostbarer, durchbrochener Eisenarbeit. Hinter derselben lag ein breiter, mit Marmorplatten belegter Hausgang, welcher in einen Hof führte, der mit demselben Material gepflastert war. Dort standen in großen Kübeln blühende Pflanzen, deren Duft bis zu mir drang.
    Die Tür war verschlossen, obgleich sich vielbesuchte Geschäftsräume hinter derselben befinden mußten. Ich bewegte den Klopfer. Durch eine mechanische Vorrichtung wurde sie geöffnet, ohne daß jemand erschien.
    Im Flur sah ich je rechts und links eine Tür. Ein Messingschild sagte mir, daß diejenige der ersteren Seite die für mich richtige sei. Als ich da eintrat, befand ich mich in einem ziemlich großen Parterreraum, welcher sein Licht durch mehrere Türen empfing, die nach dem Hof offen standen. Schreiber waren an mehreren Tischen oder Pulten beschäftigt. An einem langen Tisch stand ein hagerer Mann im Hintergrund des Zimmers und sprach in sehr rauher Wiese mit einem ärmlich gekleideten Menschen.
    Ich wandte mich an den mir zunächst Sitzenden, um nach Señor Tupido zu fragen. Die Antwort bestand in einem stummen, kurzen Wink nach dem Langen. Da dieser mit dem erwähnten Mann beschäftigt war, blieb ich wartend stehen und wurde Zeuge der zwischen ihnen geführten Unterhaltung.
    Dem Señor war die spanische Abkunft von weitem anzusehen, denn er hatte scharfe Züge und einen stolz-verschlagenen Gesichtsausdruck. Den dunklen Bart trug er nach hiesiger Sitte so, daß Schnurr- und Knebelbart zu einem spitzen Zipfel nach abwärts vereinigt waren.
    Der Mann, mit welchem er sprach, schien zu der ärmsten Volksklasse zu gehören. Er war barfuß. Die vielfach zerrissene und notdürftig geflickte Hose reichte ihm kaum bis über die halbe Wade. Die ebenso lädierte Jacke mochte einst blau gewesen sein, war aber jetzt ganz und gar verschossen. Um die Hüfte trug er einen zerfetzten Poncho, aus welchem der Griff eines Messers hervorblickte. In der Hand hielt er einen Strohhut, welcher alle und jede Form hatte, aber nur die ursprüngliche nicht. Sein Gesicht war tief gebräunt, die Haut desselben lederartig, und die etwas vorstehenden Backenknochen ließen vermuten, daß zum Teil indianisches Blut in seinen Adern fließe, eine Ansicht, welche durch das dunkle, schlichte, ihm lang und straff bis auf die Schulter reichende Haar bestätigt wurde.
    Tupido schien meinen Eintritt gar nicht bemerkt zu haben. Er stand halb von mir abgewendet und fuhr den andern hart an:
    „Schulden und immer wieder Schulden! Wann soll das einmal ausgeglichen werden! Es scheint, in alle Ewigkeit nicht. Arbeitet fleißiger! Die Yerba wächst allenthalben. Sie ist überall zu finden; man braucht nur zuzugreifen. Ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher