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321 - In 80 Welten durch den Tag

321 - In 80 Welten durch den Tag

Titel: 321 - In 80 Welten durch den Tag
Autoren: Oliver Fröhlich
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göttlichen Wind gebeugt nach Norden wiesen. Straßen, die unvermittelte Richtungswechsel vollzogen, derer man sich erst bewusst wurde, wenn es zu spät war und man beispielsweise in eine hundert Meter tiefe Senke stürzte. Regionen, wo keine oder eine umgekehrte Schwerkraft wirkte, die einen schneller in die obersten Schichten der Atmosphäre schleuderte, als man »Huch!« sagen konnte. Menschen und Tiere, die sich bei der Großen Explosion im Norden der Stadt aufgehalten hatten und deren Erscheinungsbild und Bewusstsein zu einer Skurrilität verzerrt waren, die sich kein Normaldenkender vorzustellen vermochte.
    Nein, der Norden Dubais war gewiss keine einladende Gegend für einen Spaziergang.
    Tom wusste, wo der Zielpunkt der perspektivischen Verzerrungen lag. Auf der iranischen Insel Hormus. Oder besser, beim dort existierenden Zugang zum zeitlosen Raum .
    Er wagte sich nicht vorzustellen, wie es in unmittelbarer Nähe des Portals aussah. Seit der Großen Explosion fand man überall auf der Welt derartig verheerte Gegenden – nämlich dort, wo weitere Tore zum Raum jenseits der Welt lagen. Glücklicherweise hatte es nicht alle so schlimm getroffen wie den Zugang auf Hormus.
    Und doch herrschte seit der Großen Explosion eine Weltuntergangsstimmung, wie Tom sie erlebt hatte, als »Christopher-Floyd« auf die Erde zugerast war. Die Welt versank im Chaos, regiert von Gewalt und dem Recht des Stärkeren. Häuser brannten, Menschen starben und jeder kümmerte sich nur um sich selbst.
    Eine Entwicklung, die Tom nicht gutheißen, aber doch verstehen konnte. Die Leute verspürten Angst. Um ihr Leben, um ihre Lieben. Angst vor Stärkeren, die ihnen die kärglichen Nahrungsmittel raubten. Angst, nach Hause zurückzukommen und die Lebensgefährtin vergewaltigt oder tot vorzufinden. Die Menschheit hatte im Laufe der letzten Jahrhunderte verlernt, für sich selbst zu sorgen, und diese Aufgabe der Technik übertragen. Nun hatte das Schicksal ihnen die Quittung präsentiert.
    Die größte Angst, die sie quälte, war aber vermutlich die, dass es zu weiteren Verzerrungen wie nach der Großen Explosion kam. Eine verständliche Befürchtung, schließlich kannte außer Tom niemand den Zusammenhang mit den Toren zum zeitlosen Raum. Und er würde den Teufel tun, den Menschen davon zu erzählen. Nun, was das anging, gab es auch keinen, der ihm überhaupt zugehört hätte. Keine Regierungen, keine Forscher, keine Ordnungskräfte. Nur marodierende Banden, die sich dafür kaum interessieren dürften.
    Tom beugte sich nach vorn und sah von der Aussichtsplattform lotrecht in die Tiefe. Seit Wochen versuchte eine Gruppe von fünf oder sechs Männern, in den Turm einzudringen, weil sie dort Vorräte und Waffen vermutete. Wegen der Höhe erkannte er nur einige dunkle Punkte, die aufgeregt hin- und herwuselten. Und doch spielte sich vor seinem inneren Auge ein Schauspiel ab, das den tatsächlichen Ereignissen vermutlich nahe kam.
    Männer, unrasiert, ungewaschen, mit Löchern in Kleidung und Zahnreihen. Zunächst noch voller Zuversicht, den Turm bald zu entern. Bis das unsichtbare Energiefeld, das den Burj Khalifa umgab, sie in hohem Bogen davonschleuderte.
    Die verhinderten Plünderer zogen mit blutigen Köpfen ab und suchten sich ein neues Ziel. Am Turm kehrte Ruhe ein – bis die nächsten Unbelehrbaren sich die Zähne an ihm ausbissen.
    Entrückungsschirmgenerator nannten die Archivare die Technik, die das Gebäude schützte. Natürlich stammte sie aus dem zeitlosen Raum . Kurz nach der Großen Explosion hatten sie Tom das silberne Kästchen ausgehändigt, um ihn vor dem Chaos zu bewahren, das auf die Welt zukam.
    Die Erklärung, wie das Ding funktionierte, waren sie ihm schuldig geblieben. Aus dem Namen schloss er, dass es den Turm offenbar der Welt ein wenig entrückte, sodass man ihn nicht mehr betreten konnte. Verlassen allerdings auch nicht, was für Tom dank einer anderen Leihgabe der Archivare aber kein Problem darstellte.
    Die Punkte am Fuß des Turms zogen ab. Schneller als ihre Vorgänger. Vielleicht sprach sich die Uneinnehmbarkeit des Burj Khalifa doch langsam herum.
    In diesen Augenblicken fühlte sich Tom immer wie Charlton Heston in Der Omega-Mann . Allein in einem Hochhaus, umgeben von missgünstigen, gewalttätigen Kreaturen.
    Er seufzte.
    Das hatte es also gebracht, die Erde vor dem Kometeneinschlag zu retten. Heute, im Jahr 2528, stand die Menschheit wieder am Abgrund. Doch diesmal existierte keine von außen kommende
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