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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem
Autoren: Karl May
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nach Java; das Schiff ging aber in der Nähe der chinesischen Küste unter, und er war einer der wenigen, welche gerettet wurden. Unter den Chinesen erging es ihm zunächst herzlich schlecht, da er ja ihrer Ansicht nach ein Y-jin war, ein fremder Barbar. Er wurde wie ein Gefangener gehalten. Nach und nach lebte er sich in die dortigen Verhältnisse ein. Er erlernte die Sprache, trug chinesische Kleidung, nahm die dortigen Gewohnheiten an und brachte es dadurch so weit, daß er endlich wie ein Eingeborener behandelt wurde. Nur das Land durfte er nicht verlassen; der Versuch dazu schon sollte mit dem Tod bestraft werden. Um seiner ganz sicher zu sein, wurde er in das Innere geschafft, wo er es bald so weit brachte, daß er unter die Klasse der Ansässigen aufgenommen wurde. Er entdeckte zufälligerweise im Gebirge eine Petroleumquelle. Da er die Art der Ausbeutung und Verwertung des Öls in den Vereinigten Staaten kennengelernt hatte, so griff er die Sache auf amerikanische Weise an, dabei aber natürlich die chinesischen Verhältnisse in Rechnung ziehend. Er wurde ein reicher Mann und breitete seine Verbindungen nach und nach bis an die Küste aus. Durch diesen letzteren Umstand ist es ihm ermöglicht gewesen, einen Brief, eben den, welchen Sie zur Besorgung erhielten, in die Heimat zu senden. Er ist unverheiratet und ohne Erben, dabei so kränklich, daß er mit dem baldigen Tod rechnet. Er will sein Vermögen nicht in fremde Hände kommen lassen. Darum bittet er seinen Bruder, sofort nach China zu reisen. Falls dieser Bruder tot ist, soll dessen ältester Sohn, von dessen Geburt er aus früheren Nachrichten weiß, zu ihm kommen. Nur so ist es möglich, die chinesischen Gesetze zu umgehen und die Früchte seines Fleißes in die Hände seiner Verwandten gelangen zu lassen. Er bittet um augenblickliche Antwort, worauf er Geld zur Reise anweisen will. Da ich mir aber sage, daß dabei Monate verschwendet werden, während welcher Zeit der kränkliche Herr wohl gar sterben könnte, habe ich unter Aufbietung meines ganzen Einflusses erreicht, daß Frau Stein ihren Richard sofort reisen lassen will, natürlich nur unter der Bedingung, daß ich ihn begleite. Die Kosten der Reise trage ich auch. Das ist alles so plötzlich gekommen und muß auch sofort ausgeführt werden, sonst steht zu erwarten, daß die Wirtin ihre Zusage wieder zurücknimmt. Es ist für eine Mutter kein Spaß, ihr Kind in solche Ferne und in ein solches Land gehen zu lassen. Sie ist von dem Ereignis sozusagen übermannt und betäubt worden. Ich darf sie nicht zur ruhigen Überlegung kommen lassen. Morgen mit dem ersten Zug reisen wir.“
    Der Chinese stand mit offenem Mund und starren Blickes vor ihm. Er bewegte kein Glied seines Körpers.
    „Was ist mit Ihnen?“ fragte der ‚Methusalem‘ besorgt. „Sie sind ja wie vom Schlag getroffen! Wie kann meine Erzählung einen solchen Eindruck auf Sie hervorbringen?“
    Er faßte den ‚Sohn des Himmels‘ bei den Schultern und schüttelte ihn. Dies gab dem Chinesen die Herrschaft über sich selbst zurück. Er eilte zur Tür, riegelte dieselbe zu, um von keinem Käufer gestört zu werden, ergriff den Studenten beim Arm, führte ihn nach dem kleinen, hinter dem Laden liegenden Privatraum und drückte ihn dort auf einen aus Bambus geflochtenen Sessel nieder.
    Dies tat er so eilfertig und zeigte dabei so ein Gesicht, als handle es sich um ein höchst wichtiges Geheimnis, um eine Angelegenheit, in welcher ein Aufschub den größten Schaden bringen könne.
    „Freund!“ rief er, in der Folge bald chinesisch, bald deutsch sprechend. „Sie reisen wirklich, wirklich, wirklich nach Tschina, meinem heißgeliebten Vaterland?“
    „Ja, morgen schon.“
    „O, Herr des Himmels, Glanz der Sonne, Ursprung der Zeit und des Raumes! Welch ein Glück, welch eine Schickung! Freund, mein Leben gehört Ihnen; mein Vermögen ist Ihr Eigentum. Alles, alles sollen Sie haben, nur die Namen meiner Vorfahren kann ich Ihnen nicht schenken. Sie können mir einen Dienst erweisen, der so groß, so unendlich groß ist, daß selbst der größte Dank zu gering dafür sein würde.“
    „Gern, sehr gern, wenn ich kann!“
    „Vielleicht können Sie!“
    „Versuchen wir es wenigstens. Was ist es, was ich tun soll?“
    „Bringen Sie mir mein Weib, bringen Sie mir meine Kinder mit!“
    „Mit dem größten Vergnügen!“ lachte der Student. „Wenn es weiter nichts ist!“
    „Sprechen Sie nicht so! Was ich von Ihnen verlange, ist schwer, ist
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