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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem
Autoren: Karl May
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Verwunderung: „Nicht von der Post! Wo ist er her?“
    „Aus China. Ye-kin-li gab ihn mir.“
    „Aus – China! Wer könnte mir von dort her schreiben? Es ist ja ganz unmöglich, daß dort ein Bekannter von uns existiert. Dieser Brief kann nicht für mich bestimmt sein.“
    „Er ist für Sie! Die Adresse stimmt ja genau.“
    „Bitte, Mutter, zeig einmal her!“ sagte Richard, indem er herbeitrat und nach dem Brief griff. Er betrachtete die Adresse und entschied sodann: „Er ist an den Vater gerichtet. Dieser lebt nicht mehr, folglich hast du das Recht, den Brief zu öffnen. Das ist gar nicht zu bestreiten.“ Dabei hatte er auch schon das Couvert mit dem Federmesser aufgeschnitten. Er nahm den eng beschriebenen Bogen, den es enthielt, heraus und warf, nachdem er ihn entfaltet hatte, einen Blick auf die Unterschrift.
    „Vom Onkel Daniel!“ rief er schnell.
    „Der war doch in Amerika und ist verschollen“, antwortete seine Mutter.
    „Er ist nicht tot, wie wir bisher geglaubt haben. Welch eine Freude, daß er noch lebt! Hört, was er schreibt! Ich will den Brief vorlesen.“
    Der ‚Methusalem‘ wollte sich entfernen, wurde aber aufgefordert, zu bleiben. Vor ihm gab es keine Familiengeheimnisse.
    Der Inhalt des Briefes mußte von großer Wichtigkeit sein, denn der Student blieb weit über eine Stunde bei seiner Wirtin, und als der Wichsier einmal an der Tür vorüberging und infolge eines frohlockenden Rufes, welcher drinnen ausgestoßen wurde, stehenblieb, hörte er, obgleich er die einzelnen Worte nicht verstehen konnte, daß jedenfalls eine Beratung abgehalten wurde, deren Verlauf ein sehr erregter zu sein schien.
    „Wat da drinnen losjelassen worden ist, dat scheint so eine Art von Kriegsrat zu sind“, murmelte er vor sich hin. „Ich ziehe mir zurück, sonst könnte ich der Avantgarde unter die Pferde geraten.“
    Er tat sehr klug daran, denn kaum hatte er sich entfernt, so kam sein Herr in höchster Eile heraus, eilte in seine Wohnung, packte den Wichsier, als er ihn dort erblickte, an den beiden Schultern und rief in freudigem Ton: „Gottfried, das Schlaraffenleben hat ein Ende! Wir verreisen!“
    „So! Wohin? Vielleicht wieder mal nach Jüterbogk, um den dortigen Wein zu probieren?“
    Er machte ein sehr saures Gesicht.
    „Nein, nein, weiter, viel weiter! Bist du zur Seekrankheit geneigt?“
    „Unjeheuer sehr!“
    „Woher weißt du das?“
    „Weil mein echt jermanischer Magen kein Wasser vertragen kann. Er will immer noch eins, ehe er jeht, aber natürlich nur kein Wasser!“
    „So bleibst du da, dann gehe ich zur See!“
    „Dat ist ja nicht jefährlich. Zur See kann man jehen, ohne die Seekrankheit zu bekommen. Man muß nur am Wasser stehenbleiben.“
    „Aber ich will über die See, über das Meer hinaus, nach Asien!“
    „Alle juten Jeister!“ rief Gottfried, die Hände zusammenschlagend.
    „Nach China!“
    „Da sind wir ja schon!“
    Er zeigte in dem Zimmer herum und hatte dabei nicht gar so unrecht, denn der ‚Methusalem‘ war infolge seiner mit dem Teehändler geschlossenen Freundschaft ein passionierter Sammler chinesischer Erzeugnisse geworden. An den Wänden hingen und auf den Tischen lagen Geräte, Gefäße, Waffen, Musikinstrumente und eine ganze Menge ähnlicher Dinge, welche aus dem ‚Reich der Mitte‘ stammten.
    „Das ist Talmi-China; ich aber will das echte sehen“, antwortete der Student. Die Erregung hatte ihm das Gesicht hochrot, die Nase aber ultramarinblau gefärbt. „Du sollst mitkommen. Fürchtest du dich aber vor der See, so bleibst du da und kannst, um dir die Langeweile zu vertreiben, Mücken vergolden.“
    Da stemmte der Wichsier beide Hände in die Seiten, pflanzte sich gerade vor seinem Herrn auf und meinte: „Wat? Wie? Wo? Warum? Ich, als der berühmte Jottfried von Bouillon und ausjesprochener Erbfeind aller Sarazenen soll mir vor das bißchen See fürchten! Wat mache ich mich aus so einem alten Heringsteich! Und etwa von wegen die Haifische? Denen wollte ich mit persisches Insektenpulver ins Jewissen reden! Übrigens muß ich auf alle Fälle mit, denn Sie brauchen mir. Wer soll Ihnen die Stibbel wichsen, die Kleider klopfen, die Pfeife stopfen, die Uhr aufziehen, tausend andre Sachen versorjen und beim Essen jesegnete Mahlzeit wünschen? Doch ich! Also fahre ich mit, nämlich wenn diese Reise nach China nicht etwa nur ein Ulk ist, den sich Ihr treuer Jottfried streng verbitten muß!“
    „Es ist kein Ulk, sondern Ernst, wirklicher Ernst. Ich habe
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