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313

313

Titel: 313
Autoren: B Tewaag
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den Rand, ein paar Kaninchen, Gitter und Stacheldraht, kleine Kunstwerke, kann man sagen. Das mache ich jetzt jeden Tag.
    Als ich die letzte Zigarette meiner vierten Schachtel geraucht habe, gehe ich auf den Gang. Es ist mucksmäuschenstill.
    Ich war in den letzten Jahren völlig spaßorientiert, konsumorientiert, sexualorientiert, alkohol- und drogenorientiert, ich war die ganze Zeit auf so ’nem Wahnsinnstripp, auch beruflich nur Tourneen, Krawall und Chaos. Die Ruhe, die ich jetzt auf einmal ganz brutal auf dem Gang spüre, diese Ruhe, die war für mich eigentlich immer unvorstellbar. Und ich denke, was macht dieser Körper, was mach ich hier auf diesem Gang?
    Das wird jetzt also meine erste Nacht im Knast. Ich hab keine Nachttischlampe, darum ist es vollkommen dunkel in meiner Zelle, als ich das Deckenlicht ausknipse. Ich mache es mir im Bett gemütlich. Die Plastikmatratze ist nur fünf Zentimeter dick, aber ich finde sie nicht schlecht, ich liebe harte Matratzen. Ich überlege kurz, wie viele verschiedene Menschen bereits in diesem Raum gewohnt haben, was er alles schon gesehen hat. Das frage ich mich manchmal auch in Hotels. Und dann überlege ich mir, was meine Süße, was meine Freunde und was all die anderen Leute machen, während ich hier liege.
    Ich hab ’ne Zeitlang eine Bar geleitet, Musikvideos produziert und eben mehr oder minder erfolgreich immer Musik gemacht, in einer Band gesungen. Jetzt bin ich eben im Knast. An sich ist das nur ’ne weitere Lebenserfahrung.
    Dann fällt mir ein, dass meine Zellentür nicht abgeschlossen ist.
    Man kann sie von außen aufmachen, aber von innen nicht absperren. Du sitzt in einem Haus mit hundert Häftlingen, keine Nachtwache, kein Beamter im Haus, nur in der Hauptzentrale mitten im Hof. Jeder hier weiß wahrscheinlich, auf welcher Zelle ich sitze, und ich schlafe grundsätzlich tief, neben mir kann man ein Rockkonzert abfeiern, und ich wach nicht auf. Das ist doch lebensgefährlich.
    Ich weiß nicht, wofür die alle eingesperrt sind, aber von Steuerhinterziehung bis Mord ist da bestimmt alles dabei, was das Strafgesetzbuch so hergibt. Wenn es jetzt jemand drauf anlegt, bin ich geliefert. Ich bin schon irgendwie eine bekannte Persönlichkeit, da gebe ich für die anderen Gefangenen ein interessantes Ziel ab. Um für ein bisschen Wirbel zu sorgen, um in irgendeiner Art und Weise ein Statement zu machen, um mich, theoretisch, als Geisel zu nehmen. Das ist ein ganz realistischer Gedanke. Du hast garantiert sehr viele Leute hier, die nicht logisch denken können, die wirklich doof sind oder in einer Traumwelt leben. Mit so einer Person kannst du nicht argumentieren, dass es sinnlos ist, mir ein Messer an den Hals zu halten und beim Radio anzurufen, um sich so die Freiheit zu erpressen. Das sind Leute, die sitzen doch hier, gerade weil sie aus Verzweiflung und nicht aus Überlegung heraus handeln.
    Aber dann höre ich einfach auf, mir Gedanken darüber zu machen. Das hat überhaupt keinen Zweck, es ist nicht zu lösen. Wenn irgendeiner durchdreht, dann ist es halt Schicksal.

3
    Ich schrecke hoch. Ich weiß nicht, wo ich bin. Da ist ein lautes Bollern an meiner Zellentür. Dann geht schon die Tür auf, und ein Typ, den ich noch nie gesehen habe, guckt rein.
    »Die rufen dich schon die ganze Zeit.«
    Zählung! Sechs Uhr dreißig ist Zählung! Jetzt ist es zehn vor sieben. Anscheinend haben die über Lautsprecher die ganze Zeit schon meine Nummer ausgerufen. Ich springe aus dem Bett, Puls auf hundertachtzig, zieh mir irgendeine Hose an, irgendein T-Shirt, renn aus der Zelle. Auf dem Hof sehe ich bereits Leute zum Frühstück gehen, während ich noch zur Zählung muss. Es gibt keine Schlange mehr, nur noch ein einsamer Beamter wartet auf mich.
    »Sie sind zu spät.«
    Ich sage: »Entschuldigen Sie bitte, ich hab verschlafen.«
    »Sie sind neu hier, oder? Na, das geht ja gut los.«
    »Ich habe keinen Wecker.«
    »Das ist nicht mein Problem.«
    »Ich bin’s nicht gewohnt, um sechs Uhr dreißig aufzustehen.«
    »Da sollten Sie sich ganz schnell dran gewöhnen, sonst ist der Regelvollzug nichts für Sie. Ich werde jetzt eintragen, dass Sie heute zu spät waren. Machen Sie das noch zwei Mal, gibt’s einen Bericht. Wenn Sie davon mehrere sammeln, geht’s für Sie ab in den geschlossenen Vollzug.«
    Geschockt laufe ich zu meiner Zelle zurück. Ich merke, dass ich vorhin vergessen habe, sie abzuschließen. Wenn das jemand mitgekriegt hätte, wäre das für heute gleich mein
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