Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
313

313

Titel: 313
Autoren: B Tewaag
Vom Netzwerk:
zweiter Eintrag gewesen. So geht mein Tag los. Da weiß ich wieder, wo ich bin.
    Ich zieh mir Pulli und Winterjacke an, es ist ziemlich kalt draußen, zehn Grad minus mindestens, und gehe rüber zum Frühstück. Der Speisesaal ist eine große Halle. Runde Tische aus lackiertem Holz, einfach gehaltene Stühle, auf dem Boden schon wieder Linoleum, an der Decke Neonröhren, an der Wand keine Bilder. Nicht hässlich das Ganze, aber völlig steril.
    Ich stelle mich in die Reihe und sehe den Zwei-Meter-Türken mit der achtmal gebrochenen Nase an der Essenausgabe anstehen. Im Armani-Anzug, Seidenkrawatte, der Bart wie mit dem Lineal rasiert. Neben ihm steht ein Gefangener ohne Schuhe, nur in Schlappen, hat gelbe Flecken auf seinem weißen Tanktop und dampft einen säuerlichen Geruch aus. Aber der Türke verzieht keine Miene. Wenn der Typ neben ihm anfangen würde zu brennen, würde der den niemals löschen, völlig klar. Der würde vorbeigehen und sagen, endlich stirbt das arme Schwein.
    Der lustige Essenausgeber mit seiner weißen Mütze und den Latexhandschuhen legt mir einen Apfel, zwei Scheiben Rindersalami und zwei Scheiben Gouda auf das Tablett, eingeschweißt mit Haltbarkeitsdatum und JVA -Siegel drauf. Brot kann ich mir nehmen, so viel ich will. Aber ich habe keine Lust, hier zu essen. Ich will nur auf die Zelle, weiterschlafen oder meine Ruhe haben. Die Nummer mit der Zählung ist mir auf den Magen geschlagen. Ich denke, ich bin neu hier, da müsste man doch Nachsicht haben. Der Essenausgeber gibt mir noch einen Diätjoghurt und eine große Packung Margarine, die eine Woche reichen soll. Ich hab gestern gesehen, dass es hier kein Abendessen gibt, damit ergibt sich aus dem, was ich vom Frühstück und vom Mittag mitnehme, anscheinend meine Tagesration. Ich packe alles in eine Tüte.
    Als ich in Haus C an unserer Zentrale vorbeikomme, klopfe ich an die Panzerglasscheibe. Der Beamte da drin überwacht den ganzen Gang, er kann in den Gemeinschaftsraum gucken. Wenn die Tür zu ist, kann er nicht in die Küche schauen. Was da passiert, erkennt er nur an den Reaktionen im Gemeinschaftsraum. Er hat einen Computer, Walkie-Talkie, Schlagstock, Körperpanzer, seine Kaffeemaschine und zwei Pflanzen, von denen eine abgestorben ist. Er schaut von der BILD -Zeitung auf.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    Ich sage ihm, dass ich mordsmäßig Ärger bekommen habe, weil ich heute Morgen die Zählung verschlafen habe.
    »Ja und?«
    Ich sage: »Ich hab keinen Wecker.«
    »Dann müssen Sie ein Sonderpaket beantragen. Dazu schreiben Sie ein Anliegen und fragen nach einer Sonderpaketmarke. Überlegen Sie sich ganz genau, was Sie an sonstigen Sachen brauchen. Ich werde Ihnen das Paket wahrscheinlich freigeben.«
    »Was heißt ›wahrscheinlich‹?«
    »Wahrscheinlich heißt vielleicht.«
    Ich merke, wie ich aufpassen muss, dass ich nicht frech werde, wenn ich Dinge nicht verstehe, dass ich auf dem Boden bleibe. Wenn du dich einmal mit einem Beamten anlegst, legt der sich den Rest der Haft mit dir an, zumindest für ein paar Wochen. Das ist auch was, was ich noch lernen muss. Die Beamten zeigen dir mit jedem zweiten Satz, du bist hier der Gefangene, wir haben die Macht. Mal gucken, ob du den Wecker kriegst.
    »Und was meinen Sie mit ›sonstige Sachen‹?«, frage ich.
    »Alles, was Sie noch nicht haben, aber haben dürfen.«
    Das Sonderpaket ist so ’ne Art zusätzlicher Freischuss. Das zählt nicht zu den drei Paketen, die ich pro Jahr bekommen darf. Ich muss Namen und Adresse desjenigen angeben, der es mir schicken wird, und ich muss den Inhalt genau beschreiben, sonst geht es wieder zurück. Wenn es zu schwer ist, geht es auch wieder zurück. Ich will gerade das Anliegen ausfüllen, da blafft der Beamte, ich soll das gefälligst auf der Zelle machen und es dann zurückbringen.
    Draußen hätte ich gesagt, du, das ist ’ne ganz einfache Sache: Wenn ich keinen Wecker habe, komm ich zu spät, haste Pech gehabt. Gibste mir ’nen Wecker, komm ich pünktlich. Aber hier ist es jetzt der Beamte, der sagt: Pech gehabt.
    »Ich kann Sie aber auch in den Geschlossenen schicken, Herr Stein. Da müssen Sie nicht aufstehen. Da gibt’s keine Zählung. Da gibt’s nur eine Lebendkontrolle. Da macht jeden Tag ein Beamter die Tür auf, schaut, ob Sie noch atmen, und dann ist die Tür wieder zu. Im Regelvollzug gehen wir davon aus, dass die Gefangenen die Verantwortung für ihr Leben übernehmen.«
    Sensationelle Antwort dafür, dass ich nur so was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher