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313

313

Titel: 313
Autoren: B Tewaag
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Einfaches wie einen Wecker wollte. Ich verzieh mich auf meine Zelle.
    Zehn Minuten später bin ich mit dem ausgefüllten Anliegen zurück. Ich beantrage, dass mir Jörg von draußen einen Wecker schicken darf, eine Nachttischlampe, zwei Stifte und dass er den Rest des Pakets mit Tabak vollmachen soll. In einem Sonderpaket sind zwar normalerweise keine Zigaretten erlaubt, aber ich habe mit »Vielen Dank im Voraus« unterschrieben, weil ich dachte, das kennt der Beamte sicher nicht, dass sich einer bei ihm bedankt. Grinsend lege ich ihm den Zettel hin.
    »Was soll ich jetzt damit?«
    »Sie wollten den doch haben.«
    »Sie müssen nicht alles zu mir nach vorne bringen. Wir sind hier nicht in der Schule. Da hinten ist der Hauspostkasten, da werfen Sie Ihre Anliegen ein.«
    Ich denke, Oli, reiß dich zusammen, versuch nicht, das zu verstehen. Du bist an einem Ort gelandet, wo die Leute dich anscheißen für Sachen, für die du nichts kannst. Draußen würdest du zu dem Beamten sagen, Entschuldigung, ich rede gar nicht mit Ihnen, so kacke, wie Sie aussehen und so einen Schwachsinn, wie Sie erzählen. Sie kommen mir vor wie der dümmste Streifenpolizist der Welt, nur noch dümmer. Aber hier, Oli, hier bist du von so einer Person ultimativ abhängig.
    Ich sitz auf meiner Zelle und schau mir die Wurst vom Frühstück an. Sie ist rotbraun und riecht komisch. Ich mach den Gouda auf, der ist super. Ich schmiere mir ein Käsebrot und putze den Apfel schön blank, bevor ich ihn esse. Der schmeckt wahnsinnig gut. Ich denke, wie geil schmeckt dieser Apfel. Normalerweise ist ein Apfel was, das bei mir vergammelt, jetzt hätte ich gern zehn davon. Da klopft es, und der Typ, der mich heute Morgen geweckt hat, steht schon wieder in der Tür. Er sieht aus wie eine alte Schildkröte und hat zwei Tassen Kaffee dabei. Er schaut auf die Fotos von meiner Süßen im Bikini.
    »Du darfst die Bilder nicht an die Wand hängen. Du musst die an die Holzleiste machen. Hat dir das der Beamte nicht gesagt?«
    Und ich: »Schon.«
    Und er: »Wenn dir der Beamte das sagt, dann ist das auch so, Mann. An solchen Verstößen geilen die sich voll auf.«
    Ich will kurz genervt sein, dass ich nicht mal auf meiner Zelle Ruhe habe, aber dann bin ich froh, dass jemand da ist.
    Ich sag: »Ey, das fickt hier alles total meinen Kopf.«
    Und er: »Ey, Mann, Regelvollzug ist der größte Kopffick der Welt. Da ist man jeden Tag kurz vorm Durchdrehen.«
    Die Schildkröte gibt mir eine kurze Einführung, dass der Regelvollzug so übel ist, weil die Beamten einem dort immer mit der Freiheit vor der Nase rumwedeln. Eine Stunde Ausgang, einen Tag Urlaub, eine Woche Freigang. Diese ganzen mühsamen Schritte, die du gehen musst, bis du im offenen Vollzug bist, und die sie dir ganz schnell auch wieder wegnehmen können.
    Und ich sag: »Wegen ’nem Wecker.«
    »Sind auch schon Leute für weniger in den Geschlossenen gekommen«, sagt die Schildkröte. Er sitzt jetzt an meinem Schreibtisch und erzählt mir die Geschichte von den zwei Polen, die einen Vogel in ihrer Zelle gefangen hatten, keine Ahnung, was für ’n Vogel, ein Perlhuhn oder so was, jedenfalls ein großer. Er kam direkt durchs Fenster geflogen, und sie fangen ihn und schlachten ihn und essen ihn auf. Das Ganze kommt überhaupt nur raus, weil der eine Pole unbedingt den Kopf von dem Vogel behalten will und ihn in der Gemeinschaftsküche in einem Topf auskocht. Das kriegen die Beamten in der Zentrale mit und: Abschuss. Fünf Tage Bunker wegen Herbeiführen einer Seuchengefahr.
    »Abschuss ist das Schlimmste, was dir hier drinnen passieren kann«, sagt die Schildkröte.
    Du übernachtest während deines Freigangs nicht dort, wo du angegeben hast: Abschuss. Du prügelst dich mit anderen Gefangenen: Abschuss. Du klaust: Abschuss. Selbst, wenn es ein Versehen ist und jemand Scheiße erzählt hat: Abschuss. Für die meisten Leute geht’s aus dem Bunker direkt in den geschlossenen Vollzug. Das sind die Häuser, die ich schon vom Hof aus gesehen habe, extra eingegittert, extra Stahltore, extra Kameras. Wenn du dorthin kommst, zu den echten Schwerverbrechern, dann können dir die Beamten nichts mehr nehmen, weil die eine Stunde Hofgang, die du dann pro Tag noch hast, im Gesetz steht.
    »So sieht’s nämlich aus«, sagt die Schildkröte.
    Wir trinken seinen Kaffee. Ich habe in meinem Leben bis dahin vielleicht zwei- oder dreimal versucht, Kaffee zu trinken. Das kann ich gar nicht ab. Ich reagiere darauf, als wenn ich mir
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