Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
313

313

Titel: 313
Autoren: B Tewaag
Vom Netzwerk:
hundertsechzig Mann, ein Potpourri von allen Styles. Typen mit vollgepinkelter Trainingshose und Badeschlappen, denen unterm Hemd schon die Plauze vorguckt, Typen mit Anzug und Ledertasche, die wie Banker aussehen, daneben voll aufgemuskelte Jungs, die sich so stabil ins Hohlkreuz zurücklehnen und Kaugummi kauen. Die stehen alle hintereinander, wie an der Abendkasse zur Opernpremiere.
    Ich versuche nicht so anfängermäßig auszusehen, als hätte ich keine Ahnung, was abgeht, mehr so als sitze ich jetzt auch schon zum zweiten, dritten Mal. Ich freu mich, dass ich meine Tätowierungen die kompletten Arme hoch hab. Es ist zwar kalt, logisch, wir haben Februar, aber ich zieh mir die Ärmel vom Pulli nach oben, damit die Leute gleich kapieren, das ist einer, der hat schon auch was erlebt im Leben.
    Ein paar von denen gucken mich an, sagen aber nichts.
    Ich versuche, nicht auf den Boden zu schauen wie ein Mäuschen, aber den Kopf auch nicht zu sehr zu heben, um keinen eitlen, zu chefigen Eindruck zu machen. Ich schau einfach so, wie ich normalerweise durch die Stadt gehe, geradeaus, nach vorne.
    Es ist eine ganz merkwürdige Situation, die Umgebung völlig skurril. Du stehst neben Deutschen, Türken, Russen, Albanern und Marokkanern, bist umgeben von Stacheldraht und Kameras, alles sieht nach sehr strikter Kaserne aus, aber es wirkt gar nicht wie Militärdrill. Die Leute reden miteinander, schlagen ein, machen Sprüche, ein paar super Clowns erzählen Witze. Ich muss grinsen, weiß aber nicht, ob ich mitgrinsen darf.
    Du siehst bei den Jungs sofort, wer hier ein echter Meister ist. Ein mordsmäßig großer Türke, zwei Meter groß, zwei Meter breit, würde ich sagen, tritt da im Armani-Anzug auf, bester Zwirn, todschick. Er humpelt auf dem linken Bein schwer und hat ein Gesicht, als ob die Nase schon achtmal gebrochen war. Ein richtiger Stier, Narben auf der Glatze, Kopf und Hals gehen ineinander über, aber der Bart ist auf den Millimeter getrimmt. Er hat voll die Nullmiene drauf. Keiner geht zu ihm hin, niemand redet mit ihm. Auf einmal schaut er mich böse an.
    Gegen diesen Brecher hätte ich fair keine Chance, dem müsste ich schon den Kehlkopf rausbeißen. Ich werde im Knast hundertprozentig nicht kuschen, mich auch nicht unterkriegen lassen, das hab ich im Vorfeld mit mir ausgemacht. Im Zweifelsfall – auch wenn das wahnsinnig dramatisch klingt – geht’s halt um Leben und Tod.

    Nach einer halben Stunde komme ich endlich an die Reihe. Ich stehe vor einer breiten Holzbank, hinter der ein kleiner, dicker Beamter sitzt und abhakt, wer bei der Zählung aufgetaucht ist. Die Gefangenen zeigen ihre Ausweise und nehmen sich die Post weg, die in einem Fach mit ihrer Zellennummer liegt.
    »Wer sind Sie?«
    »Stein.«
    »Ihr Name interessiert mich nicht. Wo ist Ihr Ausweis?«
    »Hab noch keinen.«
    »Dann Schlüssel raus.«
    Ich krame meinen Scheißschlüssel raus.
    »Was steht da drauf?«
    »108.«
    »108 – das sind Sie, okay? Genau das sind Sie.«
    »Okay.«
    Der Typ hinter mir tippt mich an und sagt, ich solle nicht vergessen, ein paar Anliegen mitzunehmen. Ich hab das Wort noch nie gehört. Er schiebt seine Brille die Nase hoch und erklärt mir, dass ich für alles, was ich von der Anstalt will, so ein Anliegen ausfüllen muss, Fernseher, Kabelanschluss, Arztbesuch, alles. Er gibt mir einen Packen vom Stapel, der auf der Holzbank liegt, dazu noch ein paar Besucherscheine. Er hat gecheckt, dass ich keine Ahnung habe.
    »Hast du Briefumschläge?«, fragt er.
    »Nee.«
    »Dann frag den Beamten nach Briefumschlägen.«
    »Okay.«
    »Was ist mit Papier?«
    »Hab ich auch nicht.«
    »Dann frag, ob du Papier bekommst.«
    »Okay.«
    »Geht doch«, sagt er und gibt mir einen Klaps auf den Hinterkopf.
    Ich gehe zurück in Haus C. Die Zellentüren stehen offen, im Aufenthaltsraum läuft der Fernseher volle Lautstärke, aus der Küche kommen Brutzelgeräusche. Im Gang stehen Gefangene, und ich merke, jetzt mustern sie mich mal richtig. Ich mache keinen weiten Bogen um sie, gehe aber auch nicht geradedurch, so nach der Art: Ich respektiere euch, aber übertreibt’s nicht. Dann stelle ich mich vor meine Zelle und rauche eine.
    »An deiner Stelle würde ich das lassen«, sagt der Glatzen-Typ mit Brille, der gerade noch in der Schlange hinter mir stand.
    »Was lassen?«, frage ich.
    »Rauchen auf dem Gang«, sagt er. »Ist nicht erlaubt.«
    Er ist gut einsneunzig groß und zutätowiert bis zum Hals. Sein Name ist Dragan, und wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher