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313 - Der verlorene Pfad

313 - Der verlorene Pfad

Titel: 313 - Der verlorene Pfad
Autoren: Stephanie Seidel
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ihre größte Sorge: dass der Junge über den Rand des Krähennestes blickte, den Halt verlor und in die Tiefe stürzte.
    Aruula kletterte um sein Leben. Je höher sie kam, desto weiter schwankte der Mast. Der Wind nahm zu, wurde immer beißender vor Kälte. Ab dem Bramsegel waren die Wanten vereist. Wieder und wieder rutschte Aruula von den starr gefrorenen Seilen ab. Doch sie gab nicht auf. Überwand die letzten Meter bis zum Krähennest.
    Und wenn er da gar nicht ist? Die bange Frage schoss wie ein Blitz durch ihren Körper. Aruula biss die Zähne zusammen: Jetzt war keine Zeit zum Nachdenken; Handeln war angesagt!
    Keuchend stemmte sie sich über den Rand der Plattform. Gerade hob sich das Schiff aus den Wellen. Der Mast schwankte nach achtern – und mit der Bewegung hechtete Aruula in den sicheren Ausguck und blieb mit hämmerndem Herzschlag bäuchlings liegen. Aber nur einen Moment, dann blickte sie auf.
    »Juefaan!« Unendliche Erleichterung erfasste die Barbarin. Ihr kleiner Freund kauerte mit angezogenen Beinen, die Arme um die Knie gelegt, an der Holzverkleidung des Krähennests. Er schien unverletzt. Nur seine Augenbrauen waren vereist und er klapperte hart mit den Zähnen.
    Aruula streckte die Arme nach ihm aus, und der Junge, der viel zu alt für so was war, zögerte nicht eine Sekunde. Juefaan flüchtete zu ihr und umschlang sie, vor Kälte zitternd. Aruula wiegte ihn zärtlich, küsste die Eiskristalle von seinen dunklen Brauen, drückte ihn an sich. Und schimpfte ihn aus mit einem Lachen in der Stimme.
    »Du bist wirklich Rulfans Sohn, weißt du das? Dein Vater hat mich oft in Angst und Schrecken versetzt, weil er sich Gefahren nicht nur stellt, sondern regelrecht Jagd auf sie macht. Aber du wirst das nicht tun, Juefaan! Lass dir noch mal so was einfallen und du verbringst den Rest deiner Zeit an Bord mit gefesselten Händen und Füßen in einer Tofanenkiste, verstanden?«
    Das Licht einer Laterne tauchte über dem Rand der Plattform auf. Draußen auf der Takelage stand Joona, der Steuermann. Als er über den Rand des Ausgucks spähte, erhellte sich seine besorgte Miene beim Anblick der beiden umschlungenen Gestalten; er beugte sich seitlich nach unten und brüllte: »Ich hab sie!«
    Dann wandte er sich an Aruula. »Wenn ich bitten darf, Königin? Ich wäre euch gern beim Abstieg behilflich.«
    ***
    Januar 2528, an der schottischen Küste
    Das Schiff war weit draußen vor der Brandung geblieben. Der raue Küstenstreifen mit seinen Felsen und Untiefen hatte schon so manchen Segler in ein nasses Grab versenkt, und dieses Schicksal sollte die WALEENA nicht teilen.
    Man hatte das Beiboot zu Wasser gebracht, und nun ruderten es vier starke Männer sicher durch die schäumenden Wellen, die sich kurz vor dem Ufer noch einmal aufbäumten. Wie wilde Horsays donnerten sie dem Strand entgegen, mit fliegender weißer Mähne.
    Aruula saß achtern im Boot, beide Arme fest um Juefaan geschlungen. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, nicht über Bord zu fallen, und so blieb ihr genug Zeit, das Küstengebiet nach Zeichen von Leben abzusuchen. Zu ihren Füßen türmten sich Vorräte auf, daneben lag ein Sack mit kostbaren Fellen und anderen Tauschwaren.
    Die Barbarin wusste nur ungefähr, wo Rulfans Burg zu finden war. Der Weg nach Canduly Castle konnte sich elend lang hinziehen. Deshalb hatte sie sich überlegt, das nächste Fischerdorf aufzusuchen und die mitgebrachten Waren gegen zwei Horsays zu tauschen.
    Es war an sich ein guter Plan. Er scheiterte nur an der Tatsache, dass es hier anscheinend weit und breit kein Dorf gab . So weit das Auge reichte, konnte sie keine Hütten, kein rauchendes Lagerfeuer, keine Menschen ausmachen.
    »Meerdu!«, fluchte die Barbarin. Leise, damit Juefaan es nicht mitbekam. Dann wandte sie sich der Kriegerin zu, die darauf bestanden hatte, Aruula auf der gefährlichen Passage durch die Brandung zu begleiten.
    »Scheint so, als könntet ihr die Tauschwaren wieder mit zurücknehmen, Maarue!«, rief sie gegen das Donnern der Brandung an. »Es sieht nicht so aus, dass wir hier eine Siedlung und damit Reittiere finden würden, und selber tragen können wir die Sachen nicht.«
    »Dann begleite ich dich, Königin!«, antwortete die Kriegerin. »Ich bin jung und stark!«
    »Das bin ich auch!«, raunzte Aruula verärgert. So weit kam es noch, dass man sie wie eine alte Frau behandelte!
    Mit der letzten, in sich kollabierenden Welle erreichte das Boot den Strand. Die vorderen Ruderer sprangen
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