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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage
Autoren: Natascha Kampusch
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eine Illegale, eine Person ohne Namen und ohne Geschichte. Was, wenn man mir meine Geschichte nicht glauben würde?
    Ich stand zitternd auf dem Gehsteig, die Hand an einen Zaun gekrallt. Wohin? Ich musste von dieser Straße herunter. Priklopil hatte sicher schon bemerkt, dass ich weg war. Ich ging ein paar Schritte zurück, zog mich über einen niedrigen Zaun in einen der Gärten und klingelte am Haus. Aber nichts rührte sich, kein Mensch war zu sehen. Ich rannte weiter, stieg über Hecken und Beete von einem Garten zum anderen. Endlich sah ich durch ein offenes Fenster in einem der Siedlungshäuser eine ältere Frau. Ich klopfte gegen den Fensterrahmen und rief leise: »Bitte helfen Sie mir! Rufen Sie die Polizei! Ich bin ein Entführungsopfer, rufen Sie die Polizei!«
    »Was machen Sie denn in meinem Garten? Was wollen Sie hier?«, herrschte mich eine Stimme durch die Scheibe an. Sie musterte mich misstrauisch. »Bitte rufen Sie die Polizei für mich! Schnell!«, wiederholte ich atemlos. »Ich bin ein Entführungsopfer. Mein Name ist Natascha Kampusch ... Bitte verlangen Sie die Wiener Polizei. Sagen Sie ihnen, es geht um einen Enttührungsfall. Sie sollen bitte ohne Streifenwagen kommen. Ich bin Natascha Kampusch.«
    »Warum kommen Sie damit ausgerechnet zu mir?«
    Ich zuckte zusammen. Doch dann sah ich, dass sie einen Moment zögerte. »Warten Sie an der Hecke. Und treten Sie nicht auf meinen Rasen!«
    Ich nickte stumm, als sie sich umwandte und aus meinem Blickfeld verschwand. Zum ersten Mal seit sieben Jahren hatte ich meinen Namen ausgesprochen. Ich war zurück.
     
    * *  *
     
    Ich blieb an der Hecke stehen und wartete. Sekunde um Sekunde verging. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich wusste, dass Wolfgang Priklopil mich suchen würde, und hatte panische Angst davor, dass er völlig durchdrehen würde. Nach einer Weile sah ich hinter den Zäunen der Schrebergartensiedlung zwei Streifenwagen mit Blaulicht kommen. Entweder hatte die Dame meine Bitte um ein Zivilfahrzeug nicht weitergegeben oder die Polizei hatte sich nicht daran gehalten. Zwei junge Polizisten stiegen aus und betraten den kleinen Garten. »Bleiben Sie, wo Sie sind, und heben Sie die Arme!«, blaffte mich einer von ihnen an. So hatte ich mir meine erste Begegnung mit der neuen Freiheit nicht vorgestellt. Mit erhobenen Armen wie eine Verbrecherin an der Hecke stehend, erklärte ich der Polizei, wer ich war. »Mein Name ist Natascha Kampusch. Sie müssen von meinem Fall gehört haben. Ich wurde 1998 entfuhrt.«
    »Kampusch?«, antwortete einer der beiden Polizisten. Ich hörte die Stimme des Täters: Niemand wird dich vermissen. Sie sind alle froh, dass du weg bist. »Geburtsdatum? Meldeadresse?«
    »17. Februar 1988, wohnhaft im Rennbahnweg 27, Stiege 38, 7. Stock, Tür 18.«
    »Wann und von wem entfuhrt?«
    »1998. Ich wurde in einem Haus in der Heinestraße 60 festgehalten. Der Täter heißt Wolfgang Priklopil.«
    Es hätte keinen größeren Kontrast geben können zwischen der nüchternen Faktenaufnahme und der Mischung aus Euphorie und Panik, die mich regelrecht schüttelte.
    Die Stimme des Polizisten, der über Funk meine Aussagen überprüfen ließ, drang nur langsam in mein Ohr. Die Spannung zerriss mich innerlich fast. Ich war nur wenige Hundert Meter weit geflohen, das Haus des Täters war einen Katzensprung entfernt. Ich versuchte, gleichmäßig aus- und einzuatmen, um meine Angst in den Griff zu bekommen. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass es ein Leichtes für ihn sein würde, diese beiden jungen Polizisten aus dem Weg zu räumen. Ich stand wie festgefroren an der Hecke und lauschte angestrengt. Vbgelgezwitscher, ein Auto in der Ferne. Doch mir kam es vor wie die Ruhe vor einem Sturm. Gleich würden die Schüsse fallen. Ich spannte meine Muskeln an. Ich war endlich gesprungen. Und endlich auf der anderen Seite angekommen. Ich war bereit, für meine neue Freiheit zu kämpfen.
     
    * *  *
     
     
    ** E I LT
    Fall Natascha Kampusch: Frau behauptet, Vermisste zu sein Polizei versucht, Identität zu klären
     
    Wien (APA) - Eine überraschende Entwicklung gibt es im mehr als acht Jahre alten Fall der verschwundenen Natascha Kampusch: Eine junge Frau behauptet, sie sei das seit 2. März 1998 aus Wien vermisste Mädchen. Das Bundeskriminalamt hat Ermittlungen aufgenommen, um die Identität der Frau zu klären. »Wir wissen nicht, ob es sich um die Vermisste oder um eine verwirrte Frau handelt«, sagte Erich Zwettler vom Bundeskriminalamt
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