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303 - Tod einer Königin

303 - Tod einer Königin

Titel: 303 - Tod einer Königin
Autoren: Jo Zybell
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betäubten Weibern, um ihnen die Jagdnetze überzustülpen. Prankoz selbst schlich mit gezogenem Schwert und begleitet von zwei Lanzenträgern zu dem Kerl, der mit dem Gesicht nach unten reglos im Unterholz lag. »Umdrehen«, befahl der Rottenmeister flüsternd. Eine eigenartige Scheu hatte ihn ergriffen; alles in ihm sträubte sich, den Kerl selbst zu berühren.
    Die Lanzenträger ließen sich ihren Widerwillen nicht anmerken und drehten den Betäubten um. Ein Pfeil steckte tief in der mit Blut gefüllten Augenhöhle. Dieser Treffer hatte dem Kerl wohl den Rest gegeben.
    Prankoz betrachtete ihn mit einer Mischung aus Neugier und Grausen. Warum, bei Orguudoo, hatte der Kerl vier tödliche Pfeile gebraucht, bis er endlich zusammengebrochen war?
    »Tot?« Prankoz deutete auf den Reglosen. Einer der Lanzenkrieger beugte sich ins Unterholz und tastete nach der Halsschlagader. Als er den Kopf schüttelte, hatte Prankoz bereits gesehen, dass der Brustkorb des Kerls sich noch hob und senkte. Unglaublich!
    Damals, vor fast sieben Wintern, hatten drei überlebende Weiber der Robbenjäger sie zu einer Passage im Eis geführt. So hatten sie am Ende doch noch zurück nach Hause gefunden. Eines der Weiber lebte noch bei der Heimkehr, hatte inzwischen sogar einen Knaben geboren.
    Was zunächst wie eine völlig verunglückte Seefahrt ausgesehen hatte, erwies sich am Ende als wunderbare Fügung der Göttin: Wäre er mit dem Ersten Kriegsmeister in die Schlacht gegen die Ostmänner gezogen, gäbe es heute keinen Nordmann mehr, der das ruhmreiche Geschlecht von Lokiraas Kriegern hätte fortzeugen können.
    In der Ringfestung hatten sie nämlich bei der Rückkehr nur noch elf Frauen und acht Kinder vorgefunden. Eine Seuche hatte die Zurückgebliebenen dahingerafft. Gerüchten nach, die keiner hören wollte, hatten die Meister aus Meeraka selbst für die Seuche gesorgt. Wie man hörte, waren sie allesamt nach Meeraka zurückgekehrt und hatten sich seitdem auch nicht mehr blicken lassen.
    Wie auch immer: Nur sechs der Weiber waren noch gebärfähig gewesen, und nur drei der Kinder weiblichen Geschlechts. Wie also das ruhmreiche Geschlecht von Lokiraas Kriegern schnellst möglichst wieder vermehren? Neue Weiber mussten her.
    Mit diesem Auftrag hatte der Erste Kriegsmeister ihn, Prankoz, ausgesandt. »Verliere einen Mann, und du beziehst Prügel, die du dein Leben lang nicht vergessen wirst«, hatte er ihm vor dem Aufbruch gedroht. »Verliere zwei Männer, und ich kastriere dich. Kehre mit allen Männern und mindestens zwei Frauen wieder heim, und ich mache dich zum Zweiten Kriegsmeister.«
    Einer seiner Krieger hatte die Lanze erhoben und wollte sie in die Brust des Kerls stoßen, der trotz vier Giftpfeilen noch lebte. Prankoz packte den Arm des Lanzenträgers und hielt ihn zurück. »Warte!« Plötzlich hatte ihn die Furcht beschlichen, er könnte im Übereifer einen Abgesandten Orguudoos töten. Der Dampf, der aus den Wunden ausgetreten war, schien ihm ein deutlicher Hinweis zu sein. Er hatte schon davon gehört, dass Orguudoo ab und zu Boten in Menschengestalt aus seiner Feuerhölle schickte, um seine Diener zu prüfen. »Den hier müssen wir uns genauer anschauen. Wenn der Kriegsmeister will, mag er ihn selbst töten.«
    So schnürten sie also auch den Kerl in ein Jagdnetz und schleppten ihn gemeinsam mit den erbeuteten Weibern hinunter zur Bucht.
    Niemand verfolgte die Nordmänner. Als Prankoz später vom Ruderboot aus die Küste von Kalskroona mit dem Abendhimmel verschwimmen sah, brach er in lautes Triumphgeschrei aus und dankte seiner Göttin Lokiraa.
    ***
    Deutsche Ostseeküste, Ende Juni 2527
    Von der zerstörten Halle aus verlief der Fahrweg am Rande des Hüttendorfs in Richtung Küste. Aruula ging ihn mit bleischweren Beinen. Sie lief an der Spitze der kleinen Schar von Männern und Frauen, die beschlossen hatten, in ihre Heimat zurückzukehren: zu den Dreizehn Inseln. Die Morgensonne löste sich bereits vom Horizont. Schwerer noch als ihre Beine war Aruulas Herz.
    Der Weg führte an den Hügeln vorbei, die Mutters Anhänger mit dem Geröll aus dem Bohrloch hier am Dorfrand angehäuft hatten. Aruula blieb stehen, betrachtete den Abraum, sah hinauf zur Kuppe des Geröllhaufens. Von dem Apfelbaum, der ein paar Dutzend Schritte hinter den Abraumhügeln wuchs, sah man nur die Krone. Sie schüttelte sich im Sommerwind.
    Den Stamm des Baumes sah Aruula nicht, und dennoch wusste sie, wer unter ihm hockte – ganze Tage und Nächte
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