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30 Sekunden Verzögerung

30 Sekunden Verzögerung

Titel: 30 Sekunden Verzögerung
Autoren: Robert Moore Williams
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aufgenommenen Strahlenmenge enthielt.
    Zen, der Nedras Arm noch immer in dem seinen fühlte, wollte zu sprechen beginnen, aber seine Gedanken waren zu verworren, um sich in Worten ausdrücken zu lassen. Irgendwie wünschte er sich in eine andere Welt versetzt, in eine Welt, deren Bewohner nicht versuchten, einander den Garaus zu machen. Er sehnte sich nach einem Leben, das ihm erlauben würde, dieses Mädchen zu lieben, ohne daß sie für ihre Zukunft Verzweiflung, Not und Zerstörung zu fürchten hatten. Wie durch einen Nebel sah er ein kleines, weinumranktes Häuschen, in dem ein Mann und eine Frau in Frieden und Sicherheit leben konnten, wo gesunde Kinder auf Berghängen spielten, die nicht von radioaktiven Strahlen verseucht waren.
    „Wir sind angelangt“, klang die Stimme Nedras in seinen Wachtraum. „Kurt, ich möchte …“ Sie stockte und blickte zu Boden.
    „Was möchten Sie, Nedra?“ fragte er leise.
    Er fühlte den Druck ihrer kleinen, festen Hand auf seinem Arm. „Ich möchte Ihnen danken – für den wunderbaren Traum!“ flüsterte sie.
    Als Zen den Blick verwundert auf sie richtete, weil es ihm unbegreiflich schien, daß sie seine unausgesprochenen Gedankengänge verstanden hatte, lösten sich ihre vertrauten Züge in einem grauen Nebel auf. Zen taumelte, und bevor Nedra ihn stützen konnte, sank er bewußtlos zu ihren Füßen nieder.
     
4. Kapitel
     
    Zens Bewußtlosigkeit dauerte nur Sekunden; der harte Fall auf den Boden brachte ihn sofort wieder zu sich. Als Nedra Anstalten traf, neben ihm niederzuknien, um ihm aufzuhelfen, schob er ihre Hand zur Seite und kam langsam auf die Füße.
    „Mein Gott, was ist geschehen?“ fragte das Mädchen mit bebenden Lippen.
    „Nichts“, sagte er abwehrend. Er begriff es selbst nicht und suchte nach einer Erklärung. „Ich – ich – ich muß ohnmächtig geworden sein. Das ist alles, so etwas kann passieren.“
    Nedra schien anderer Ansicht zu sein.
    „Männer wie Sie werden nicht einfach ohnmächtig“, behauptete sie.
    „Es ist aber passiert“, sagte Zen schwach.
    „Männer werden nur ohnmächtig, wenn etwas mit ihnen nicht in Ordnung ist“, fuhr Nedra ungerührt fort. „Vielleicht ein Detonationsschock, der sich erst jetzt bemerkbar macht? Oder …“ Ihre Stimme verlor sich in einem undeutlichen Murmeln, als weigere sie sich, bestimmte Gedanken in Worte zu kleiden. West stand hinter ihr, schweigend und unbeteiligt.
    „Unsinn“, murmelte Zen. „Ich bin in Ordnung. Wenn Sie gehofft hatten, ich würde mich den Quacksalbern anvertrauen, muß ich Sie enttäuschen. Mir ist nicht schlecht, die Welt ist schlecht.“ Er mußte bei dieser Formulierung lächeln, da sie ihm gelungen schien.
    „Natürlich sind Sie in Ordnung“, gab Nedra zögernd zu, aber ihr Gesicht sagte etwas anderes. „Es wäre trotzdem keine schlechte Idee, sich schnell vom Arzt untersuchen zu lassen, um ganz sicherzugehen.“
    Zen schüttelte den Kopf und hörte nicht auf das, was Nedra sprach.
    „Oberst, ich glaube, Sie sollten wirklich …“, begann das Mädchen erneut, aber Zen unterbrach sie.
    „Mein Kopfschütteln galt nicht Ihnen.“
    „Umso besser. Dann gehen Sie jetzt also zum Arzt.“
    „Auch das war nicht damit gemeint. Ich schüttelte nur den Kopf, um klar zu werden. Mir ist, als sei mein Schädel völlig vernebelt.“
    Besorgnis malte sich auf Nedras Zügen, und Zen fügte schnell hinzu: „Kein Grund zur Aufregung, denke ich. Heutzutage haben viele Menschen vernebelte Gehirne. Es gibt Leute, die alle vierzehn Tage ihren Wunderdoktor aufsuchen müssen, um sich die kleinen, grauen Zellen durchpusten zu lassen.“ Er hielt seine Worte für einen prächtigen Scherz und lachte fröhlich.
    Nedra verzog keine Miene und packte resolut seinen Arm. „Sie kommen jetzt mit, Oberst!“ sagte sie mit einer Stimme, gegen die es keinen Widerspruch gab.
    Zen trottete gehorsam neben ihr, und plötzlich geschah es.
    Er sah wieder klar!
    Er sah alles!
    Dieser Umschwung erfolgte von einer Sekunde zur anderen. Er sah mehr, als er mit seinen Augen wahrgenommen hatte. Nicht nur die Oberfläche der Dinge, nein, auch ihren Kern, das Innere, das ihm sonst verborgen geblieben war. Und es blieb nicht beim Sehen, beim visuellen Erkennen; sein Verstand setzte das Wahrgenommene sogleich in Begreifen um, Zusammenhänge wurden klar, wo es keine zu geben schien.
    Es war wie eine Vision, aber im Rahmen des Wirklichen, des Tatsächlichen. Zen sah das ganze Universum in einem einzigen Menschen
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