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285 - Am Nabel der Welt

285 - Am Nabel der Welt

Titel: 285 - Am Nabel der Welt
Autoren: Manfred Weinland
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Schrei. Unmittelbar neben ihr stand Damon Marshall Tsuyoshi und wirkte gelähmt angesichts der Erkenntnis des unmittelbar bevorstehenden Todes.
    Kommandant Claudius Gonzales saß in seinem Kommandosessel an Bord der CARTER IV. Er hatte bislang kein Wort zu seinen Gefangenen, zu Damon und Calora, gesprochen. Wahrscheinlich würde er es auch nicht mehr tun. Sein volles Augenmerk galt den Zurufen der Zentralebesatzung und den Instrumenten, über deren Kontrollen seine Finger routiniert und unaufgeregt glitten.
    Unaufgeregt - das war das Verrückteste an alledem.
    Sie stürzten ab und Gonzales blieb kalt wie eine Hundeschnauze. Er benahm sich, als wäre alles nur eine makabre Simulation - und für ein paar Augenblicke zog Calora genau das in Betracht: dass die CARTER IV gar nicht wirklich in die Atmosphäre des Planeten eingetaucht war und fast ungebremst auf dessen Oberfläche zuhielt.
    Aber da waren die spürbaren Begleiterscheinungen eines realen Absturzes: Die Schiffszelle vibrierte, überall knisterte und bebte es. Die Innentemperatur war angestiegen, die Klimaanlage bekam die Reibungshitze, die in die Mannschaftsbereiche durchschlug, nicht mehr in den Griff. Inzwischen war es so heiß, dass es ihnen den Schweiß aus den Poren trieb. Die für Marsgeborene typisch marmorierte Gesichtshaut war bei jedem, in dessen Gesicht Calora blickte, bedenklich gerötet. Schweiß glänzte oder perlte von Stirn und Wangen. Ihr selbst war regelrecht schlecht, weil ihr Kreislauf Mühe hatte, weiter zu funktionieren.
    Und es wurde kontinuierlich schlimmer.
    »Kommandant Gonzales!«
    Sie erschrak über das Krächzen, das sie ihren Stimmbändern entlockte. Trotzdem stürmte sie vor, ignorierte die Sicherheitsleute, die ungeachtet der Allgemeinsituation sofort reagierten und auf sie zuhielten.
    »Calora - nicht…« Damon versuchte sie zurückzuhalten. Aber sie war schon bei Gonzales, quetschte sich in die Lücke zwischen ihm und dem Sensorium, über das er die CARTER IV in weiten Teilen kontrollierte.
    »Komman-«
    »Schafft sie weg!«, schnarrte Gonzales, der nicht wiederzuerkennen war. Er hatte sich um 180 Grad gewandelt. Götzenhaft thronte er inmitten der Bordzentrale, und götzenhaft schmetterte er jeden Versuch ab, ihm in die Quere zu kommen.
    Calora spürte, wie sie am Arm gepackt und von der Konsole weggezogen wurde. Rechts und links postierten sich zwei für marsianische Verhältnisse fast schon bullige Angehörige des Sicherheitsteams und hielten Calora fest. Einem ersten Impuls folgend wollte sie nach ihnen treten, aber da fing sie Damons warnenden und zugleich flehenden Blick auf, und augenblicklich stellte sie ihren Widerstand ein. »Schon gut, ihr Idioten. Lasst mich los. Ich bin ja schon brav. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie brav…«
    Die beiden Männer blieben so unbeeindruckt wie Gonzales. Und schon spürte Calora wieder eine heillose Wut in sich aufsteigen. Dieselbe Wut, die sie über Tage schließlich schleichend in diese Lage gebracht hatte. Sie und Damon, der außer ihr der einzige noch verbliebene »Normale« an Bord zu sein schien. Alle anderen Marsianer, die ursprünglich die Station auf dem Erdtrabanten betrieben hatten oder mit der CARTER IV zu ihrer Ablösung gekommen waren, wiesen Wesensveränderungen auf, die nun in der bewusst herbeigeführten Katastrophe ihren Höhepunkt gefunden hatten.
    Die CARTER IV stürzte ja nicht versehentlich auf die Erde hinab. Das hier war ein gezielter terroristischer Akt - eine andere Erklärung gab es für Calora nicht mehr, auch wenn ihr die Hintergründe und Motive schleierhaft waren. Sie und Damon schienen die Einzigen zu sein, die keinen Selbstmord begehen wollten. Alle anderen um sie herum hatten offenbar kein Problem damit, fernab ihrer Heimat, dem Mars, durch ihr eigenes Bestreben jämmerlich zu krepieren.
    Es war mehr als grotesk. Calora kannte jeden Einzelnen dieser Männer und Frauen. Bis vor kurzem hatten sie noch keinerlei Anzeichen gezeigt, des Lebens überdrüssig geworden zu sein. Doch nun…
    »Wartet!«, hörte sie Damon rufen. »Lasst sie in Ruhe - ich kümmere mich um sie. Ich sorge dafür, dass sie keine Dummheiten macht. Kommandant…?«
    Gonzales' Blick brannte sich sekundenlang in den von Damon Marshall Tsuyoshi - dann gab er seinen Männern mit einer brüsken Geste zu verstehen, dass sie Calora loslassen sollten.
    Calora hatten den stummen Befehl ebenfalls verstanden - samt dem Zusatz, der bedeutete: Bei der kleinsten Dummheit sperrt ihr sie
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