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285 - Am Nabel der Welt

285 - Am Nabel der Welt

Titel: 285 - Am Nabel der Welt
Autoren: Manfred Weinland
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Eltern auf jenen schaurigen Vorfall vor zwölf Jahren schoben, bei dem Enno möglicherweise mehr hatte hinnehmen müssen als eine heute noch sichtbare Narbe. Der Wanderheiler, den seine Tour damals wie heute alle paar Monde durch das Dorf führte, hatte gemeint, dass wahrscheinlich eine Niere von dem Biest angefressen worden und danach verkrüppelt sei. Enno wurde auch immer viel schneller müde als seine Altersgenossen, wenn sie auf die Jagd gingen oder bei der Feldarbeit halfen.
    Einmal hatte Enno den Heiler auf das Pulver angesprochen, das er in der Perle um seinen Hals trug. Der mittlerweile schon betagte Doc hatte etwas von Hexenwerk und Teufelszeug gemurmelt und Enno einfach stehen gelassen. Seither hütete Enno die Perle nur noch wachsamer.
    Jelle heulte unter ihm auf. Ennos Absturz hatte ihn fast k.o. geschlagen. »Idiot!«, quetschte er zwischen anderen Flüchen hervor. »Ich schlag dich windelweich!«
    Enno stöhnte, befreite sich von Jelles herumfuchtelnden Händen und kam einen Schritt neben seinem erbosten Bruder zum Stehen. Inzwischen hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Es war Vollmond, und in dem fahlen Schein, der durch die Fenster drang, sah er, wie sein ungleicher Zwilling seine Knochen sortierte.
    »War ja keine Absicht. Hab mich halt erschreckt. Lass uns rausgehen und nachsehen, was da los ist!«
    Enno mochte seinen Bruder, und er wusste, dass der ihn auch mochte - nur zeigen konnte er es nicht immer. Aber wenn einer aus dem Dorf Enno schlecht behandelte, war Jelle immer zur Stelle. Er verteidigte Enno sogar gegen Kerle, die doppelt so schwer waren wie er selbst. So manche Schramme oder Narbe, die ihn zierte, hatte sich Jelle wegen Enno eingehandelt.
    Umgekehrt wäre aber auch Enno für seinen Zwilling durchs Feuer gegangen.
    Sie liefen ins Freie. Das halbe Dorf war auf den Beinen - vielleicht sogar das ganze. Alle standen da und bogen die Köpfe weit in den Nacken, um steil nach oben in den Nachthimmel zu blicken.
    Das Firmament brannte . Unheimliche Lichter flackerten durch die Atmosphäre, ließen den Mond und die Sterne verblassen. Dazu rumpelte und rumorte und knisterte es in der Luft, als wölbe sich über dem Dorf eine gigantische gläserne Kuppel, die Stück für Stück zerplatzte.
    Enno hob instinktiv den Arm über den Kopf, als erwarte er einen Scherbenregen. »Was… ist das?«, stammelte er.
    Jelle stand hinter ihm und hatte die Hände auf die Schultern seines Bruders gelegt. » Kristofluu! «, keuchte er. Er hob den rechten Arm und zeigte nach Osten, wo sich ein Gebilde aus all den Irrlichtern herausschälte; es raste mit irrwitziger Geschwindigkeit quer über den Himmel.
    Enno kannte die Legenden ebenso gut wie sein Bruder und wusste deshalb, was Jelle in dem Phänomen zu sehen glaubte, das sie aus dem Schlaf gerissen hatte: den Hammer der Götter, der die alte Zeit beendet und die neue mit einem furchtbaren Schlag eingeläutet hatte.(in Wahrheit der Komet »Christopher-Floyd«, der am 8.2.2012 die Erde traf)
    Um ihn herum klangen mehr und mehr Schreie auf. Von Mund zu Mund ging, was Jelle geäußert hatte. Ein Dörfler fing das Schreckenswort auf und gab es an den nächsten weiter.
    »Kristofluu… Kristofluu…«
    Angst schnürte Enno die Kehle zu. Außerstande, noch irgendein Wort von sich zu geben, sah er zu, wie das glühende Objekt weiter die Luft auf seinem Weg entlang des Himmelszelts in Brand setzte. Dabei verlor es immer mehr an Höhe, bis es schließlich…
    Der Boden erbebte. Eine grelle Lohe schoss dort in die Höhe, wo der vermeintliche Kristofluu eingeschlagen war.
    In den Überlieferungen war das der Anfang vom Ende gewesen - der Beginn unvorstellbarer Zerstörungen, die das Gesicht der Erde umgestaltet hatten.
    Hier aber… geschah weiter nichts.
    Die Panik wich aus den Gesichtern der Männer, Frauen und Kinder.
    Die Ersten wandten sich bereits gen Westen, wo eine von waberndem Schein umspielte Rauchsäule in die wieder still gewordene Nacht aufstieg.
    Ennos Beine setzten sich wie von selbst in Bewegung, und auch sein Bruder konnte oder wollte sich der Anziehungskraft des Vorfalls nicht entziehen.
    ***
    Kurz zuvor
    Sterben mochte generell kein leichtes Unterfangen sein. Aber auf diese Weise zu enden - mit einem Raumschiff auf der Oberfläche einer fremden Welt namens Erde zu zerschellen -, erschien Calora Stanton wie die Krönung der Interpretation von »Pech gehabt«.
    »Diese Wahnsinnigen!« Die Marsianerin packte ihre ganze Hilflosigkeit in diesen
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